Zum Hauptinhalt springen

Dem Recht zum Recht verhelfen

Von Alexander von der Decken

Gastkommentare

Die Affäre um Dominique Strauss-Kahn offenbart, dass gewisse Sitten der US-Justiz auch in Europa schon Einzug gehalten haben.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Die Schlinge, die der ehemalige IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn sich um den Hals gelegt hat, zieht sich langsam zu. Er soll in New York ein Zimmermädchen sexuell genötigt haben. Spermaspuren wurden gefunden, es wird eng für den Angeklagten.

Die Diskussion um Schuld oder Unschuld ist nur noch zweitrangig, sie hat sich längst auf einen ganz anderen Bereich verlagert. Es geht nicht mehr um Recht oder Unrecht, sondern darum, wer den Prozess gewinnt und mit welchen Mitteln obsiegt wird und welche Rolle die Medien dabei spielen.

Der Fall Strauss-Kahn hat die französischen Medien bis in die Grundfesten erschüttert. Der Schutz der Privatsphäre, wie in Frankreich und auch anderen europäischen Staaten im Fall einer Anklage üblich, ist aufgehoben. Längst beziehen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihnen gewogene Medien in ihre Anklage- oder Verteidigungsstrategie mit ein, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren und im Rahmen einer "Vorverurteilung" Einfluss auf den Richterspruch im folgenden Prozess zu nehmen. Was in den USA eine Selbstverständlichkeit ist, ist immer häufiger auch vor den Schranken europäischer Gerichte auszumachen.

Strauss-Kahn sei Dank, ist hierzu nun auch eine öffentliche Debatte entstanden. Die Befürworter sagen: Wer im grellen Prominentenlicht der Öffentlichkeit agiert, der kann bei Verfehlungen nicht darum bitten, dass die Kameralichter ausgeschaltet werden sollen, damit die dunklen Seiten seines Tuns unbeleuchtet bleiben. Das kann man sicherlich so sehen.

Doch zu leugnen ist auch nicht, dass die Rechtsprechung im Rampenlicht der Öffentlichkeit eben nicht mehr Recht sprechen kann. Vor US-Gerichten spielen sich mitunter skurrile Doku-Soaps ab, bei denen es darum geht, mit welcher Finesse der Beschuldigte rausgehauen wird. Erinnert sei nur an den Prozess gegen O. J. Simpson, den Ex-US-Basketballstar, der seine Frau erstochen haben soll. Erinnert sei auch an den Prozess gegen den ehemaligen Pop-Star Michael Jackson und die vielen anderen mit klangvollem Namen im US-Show-Gewerbe Tätigen.

Von den Gegnern solcher Justiz-Show-Inszenierungen wird beklagt, dass bereits im Vorfeld eines Prozesses ganze Biografien zerstört werden. Und zwar so vernichtend, dass im Fall der Unschuld nichts mehr zu retten ist. Und so grotesk es auch klingen mag, das Gleiche trifft derzeit im Fall Strauss-Kahn zu. Der Rücktritt vom Chefposten des Internationale Währungsfonds aus der Untersuchungshaft heraus, das Gerangel um seine Nachfolge, die Zufriedenheit beim französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, da sein sozialistischer Angstgegner Strauss-Kahn bei der Wahl zum höchsten Amt im Staat nicht gegen ihn antreten wird können ob der Vorverurteilung etc.

Der Fall Strauss-Kahn - egal, wie er ausgeht - bietet eine letzte Chance, dem Recht wieder zum Recht zu verhelfen.

Alexander von der Decken ist Redakteur beim "Weser Kurier" in Bremen.