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Dem Volk "aufs Maul schauen"

Von Heinz Kienzl

Gastkommentare
Heinz Kienzl war Generaldirektor und 1. Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank und ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik.

Es bräuchte neue Regeln, um zu verhindern, dass das gefährliche politische Spiel mit Referenden die Demokratie dauerhaft beschädigt.


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Auch die Politik hat ihre Moden. Wenn ein Politiker sich besonders volksverbunden geben oder den Wutbürgern nach dem Mund reden will, macht er keine Vorschläge zur Zukunftsgestaltung, sondern fordert ein Referendum. Vor allem, wenn er Versprechungen abgibt und schon weiß, dass er sie nicht erfüllen kann. Das nennt man Populismus.

Es lohnt ein Blick auf Volksabstimmungen der jüngeren Vergangenheit, etwa auf jene über eine EU-Verfassung 2005. Die EU-Staaten hatten die Möglichkeit, den Vertrag vom Parlament beschließen zu lassen oder eine Volksabstimmung darüber anzusetzen. Frankreichs Konservative setzten François Mitterrand zu Fleiß ein Referendum durch - die Franzosen lehnten den Vertrag ab. Die Niederländer taten es ebenso.

Beim Brexit glaubte Premier David Cameron nach seinem Sieg bei den Parlamentswahlen, mit einem Referendumssieg seine innerparteiliche Opposition an die Wand spielen zu können - 52 Prozent der Briten wählten den Ausstieg aus der EU. Die Brexit-Befürworter schwärmen immer noch davon, dass das Volk entschieden habe, aber was ist mit den 48 Prozent, die gegen den Brexit stimmten?

Bruno Kreisky verknüpfte einst ein Nein zu Zwentendorf mit seinem Rücktritt - und blieb Kanzler. Italiens Premier Matteo Renzi drohte 2016 bei Ablehnung seiner Verfassungsreform mit seinem Rücktritt und musste diesen dann tatsächlich vollziehen. Auch andere Referenden, wie in Ungarn, sind nicht so ausgegangen wie erhofft. Das Volk stimmte nämlich in Wahrheit oft über etwas ganz anderes ab: Die Italiener wollten Renzi loswerden, die Briten Cameron, und auch die volksabstimmungserfahrenen Schweizer stellten sich mit der "Volksinitiative gegen Masseneinwanderung" selbst eine Falle und haben jetzt größte Schwierigkeiten mit ihren bilateralen Abkommen mit der EU.

Auf absehbare Zeit ist mit weiteren Referenden zu rechnen. Theodore Roosevelt sagte: "If you can’t beat him, join him!" Also überlegen wir, ob man nicht zumindest in der EU Regeln für Referenden entwickeln kann. Vor allem sollten wir in den Vordergrund stellen, dass die parlamentarische Demokratie nicht durch laufende Aushebelung mittels Referenden dauerhaft beschädigt wird. Vielleicht könnte das EU-Parlament ein Regulativ für Volksabstimmungen entwickeln, laut dem nur jene mit einem deutlichen Mehr an Zustimmung weiter zu behandeln wären. Jedes Land verfügt über genug Politologen, Soziologen und renommierte Institute, die Referenden prüfen und analysieren könnten, worüber das Volk da eigentlich entscheiden soll und will. Die Abgeordneten im Parlament könnten sich dann auf dieser Basis eine Meinung bilden und womöglich erkennen, dass sie es nur mit einer irregeleiteten Wählerschaft zu tun haben. Wenn ein entscheidender Prozentsatz beim Brexit gar nicht die EU verlassen, sondern bloß den Premier loswerden wollte, hätte man bloß diesen feuern müssen und das Referendum ad acta legen können.

Überhaupt sollten sich die Parlamentarier nicht ins Eck stellen lassen, sondern sich ein Beispiel an John Pym nehmen: Den Speaker warf der englische König ins Gefängnis, weil er mutig für die Rechte des House of Commons eingetreten war.