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Dem Wahrheitsstreben verpflichtet

Von Heiner Boberski

Wissen

Agentur für Wissenschaftsethik in Planung. | Hahn fürchtet um die Qualität der Universitäten. | Semmering. Moralisch umstrittene Forschungen, etwa an Embryonen oder Tieren, gefälschte Studien, Plagiate - viele aktuelle Ereignisse berühren das Thema "Ethos und Integrität der Wissenschaft", das beim 19. Wissenschaftstag der Österreichischen Forschungsgemeinschaft (ÖFG) auf dem Semmering (23. bis 25. Oktober) diskutiert wird.


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Schon in seiner Begrüßung wies ÖFG-Präsident Heinrich Neisser darauf hin, dass das heurige Thema das Bild der Wissenschaft in der Öffentlichkeit präge. Die Wissenschaft sollte der Objektivität und dem Streben nach Wahrheit verpflichtet sein, es gelte, Fehlverhalten zu ahnden, ohne in ein "Tugendwächtertum" zu verfallen.

Den Start einer eigenen Agentur für wissenschaftliche Integrität, die der Forschungsfonds FWF seit Jahren plant, kündigte Wissenschaftsminister Johannes Hahn an. Auch ein hohes ethisches Niveau gehöre zur Attraktivität eines Wissenschaftsstandortes, wie es Österreich immer mehr werde - seit dem Jahr 2000 seien 65 Prozent der Professoren aus dem Ausland berufen worden. Hahn appellierte an die Wissenschafter, sich mit ihrer ganzen Autorität in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen, vor allem bei Debatten, wo "ideologische Reibebäume" Gespräche auf rationaler Ebene erschweren. Hahn fürchtet derzeit um die Exzellenz und Qualität an den Universitäten, die er durch einen ungebremsten Zugang ohne Gebühren gefährdet sieht.

Außerdem äußerte der Minister die Sorge, Österreich könnte auf einzelnen Gebieten "wissenschaftlich verkümmern", da bestimmte Themen, etwa die Atomphysik oder die Gentechnik, hier "gesellschaftlich unerwünscht" seien. Aber wie solle sich Österreich noch in internationale Debatten zu diesen Themen einbringen, wenn hierzulande die Expertise fehle.

Wie schwierig es ist, dass Wissenschafter zu übereinstimmenden Antworten in ethischen Fragen kommen, führte dann der deutsche Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Paul Hoyningen-Huene (Hannover) aus. Es bedürfe einer "Rationalität der Ethik" - also einer Begründung der Ethik aus der Vernunft, nicht etwa aus einer Religion. Moralische Empörung habe aber eine existentiell-dogmatische Dimension, die für manche Debatten (etwa darüber, ob man ein Kleinkind unter bestimmten Umständen schlagen dürfe) und Argumente gar nicht zugänglich sei. In jedem Fall sei immer zuerst zu klären, ob es sich um einen Wissens- oder einen Werthaltungsdissens handle. Eine Gesellschaft müsse in der Regel mit demokratisch legitimierten Kompromisslösungen leben.

Mit dem bekannten Satz "Anything goes" (sozusagen "Jedes Mittel ist recht") des gegen Methodenzwänge auftretenden, aus Österreich stammenden Philosophen Paul Feyerabend (1924-1994) setzte sich der deutsche Philosoph Volker Gerhardt (Berlin), der sich zum "altmodischen Begriff Wahrhaftigkeit" bekannte, kritisch auseinander. Der wissenschaftstheoretische Anarchismus, so Gerhardt, übersehe vieles, Wissenschaft solle zwar im Umgang mit ihren Methoden kreativ sein, könne aber nicht ganz auf Regeln verzichten, denn "dann ginge gar nichts mehr".

"Wissen darf nicht monopolisiert werden"

Wie in der modernen Finanzwelt gebe es auch in der Wissenschaft "Blasen, die irgendwann platzen", sagte Klaus Mainzer, Wissenschaftstheoretiker aus München. Für richtiges Handeln seien verlässliche Daten entscheidend. Auch der Innovationsdruck der Wissensmärkte dürfe nicht zu Datenfälschungen führen. Qualitätssicherung sei wichtig, sie beruhe auf Kommunikation und Ethos der beteiligten Wissenschafter.

"Die Stigmatisierung des Plagiats ist die notwendige Konsequenz einer auf persönliche Leistung - Originalität - aufbauenden Organisation der Wissenschaft", betonte der Salzburger Jurist Walter Berka. Er zeigte auf, wie heute "das Urheberrecht zu einem Schlachtfeld ganz unterschiedlicher Interessen geworden" sei, was auch Gefahr bedeute: "Wissen darf nicht monopolisiert und dem Diskurs der Wissenschaft entzogen werden." Im Grunde sei "nur die Form, nicht der Inhalt des wissenschaftlichen Wissens" rechtlich schützbar, also nicht die Wahrheit allein, sondern erst in Form eines gestalteten Werkes. Stellten sich Aussagen als falsch heraus, merkte Berka pointiert an, seien sie wieder originell und daher schützbar.

Als "Lebenselixier der Wissenschaft", die ihren Wert bestimme, hob Hans Weder, Theologe und langjähriger Rektor der Universität Zürich, die Wahrhaftigkeit hervor. Er definierte sie als Eigenschaft von Personen, die einer Wahrheit - wobei er einräumte, dass es verschiedene Wahrheitsbegriffe gebe - verpflichtet seien. Es müsse, so Weder, im eigenen Interesse wissenschaftlicher Institutionen liegen, präventive Maßnahmen gegen Fehlverhalten zu setzen und bei Verstößen gegen die wissenschaftliche Redlichkeit die Kraft zur Selbstreinigung aufzubringen. Lächeln im Auditorium löste Weder aus, als er forderte, Forscher weniger unter Druck zu setzen, sondern ihnen "Zeit und Ressourcen für Muße" zur Verfügung zu stellen. Das entspreche zwar nicht dem Zeitgeist und sei nicht billig, gab der Schweizer Gast zu, könne sich aber erfahrungsgemäß langfristig lohnen.