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Demenz belastet Betroffene und Pflege

Von Martina Madner

Politik
Ältere Menschen mit Demenz kommen im Alter oft nicht mehr alleine zurecht.
© Andrea Popa

2,7 Milliarden Euro kosten demenzielle Erkrankungen die Gesellschaft jährlich - mit zunehmender Alterung wird es mehr.


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Bei Maria begann es damit, dass sie Namen verwechselte und Urenkelkinder mit den Namen ihrer Enkel ansprach. Sie verlegte ihren eigenen Geburtstag um einige Monate, ärgerte sich darüber, dass ihr niemand an diesem Tag gratulierte. Sie vergaß, dass sie Medikamente bereits genommen hatte, dann häufiger auch, dass sie noch nicht gegessen oder getrunken hatte. Später musste sie auch einmal aus dem Haus der Familie einer Freundin abgeholt werden. Gut bei Fuß wollte Maria diese an diesem Tag besuchen - und hatte vergessen, dass die Freundin einige Zeit davor verstorben war. Maria litt an Demenz - so wie aktuell 147.000 Menschen in Österreich.

Was Betroffene und Angehörige erst oft nicht wahrhaben wollen, entwickelt sich zunehmend zur Belastung. Menschen mit Demenz benötigen erst Aufsicht, dann Betreuung und Pflege. Auch zusätzliche Behandlungen und Krankenhausaufenthalte sind aufgrund der Demenz möglich. IHS-Gesundheitsökonom Thomas Czypionka berichtet etwa von "Entgleisungen von Diabetes, weil sie Medikamente nicht nehmen": "Das Risiko, dass ein Diabetiker mit Demenz ins Krankenhaus kommt, ist höher."

Mit den IHS-Kolleginnen Miriam Reiss und Monika Riedel berechnete er die volkswirtschaftlichen Kosten, die 2019 durch Demenz entstanden. Laut "äußerst konservativen" Berechnungen waren es knapp 2,7 Milliarden Euro.

Hohe Kosten im Gesundheits- und Pflegesystem

Miriam Reiss, Expertin für Gesundheitsökonomie und -politik beim IHS, spricht von häufigeren Stürzen, Harnwegsinfekten, Lungenentzündungen, Ernährungs- und Stoffwechselerkrankungen in Folge von Demenz. Die Behandlung kostete 2019 in Summe 1,4 Milliarden Euro, 3,9 Prozent der Gesundheitsausgaben.

Zwar sind 85 Prozent der Personen im Alter von über 60 Jahren in Pflegeheimen an Demenz erkrankt. Das wären 57.000 Personen. Reiss berechnete schon alleine anhand der 9.800 Personen, die "ausschließlich wegen einer Demenz" im Pflegeheim wohnen, 539 Millionen Euro für die stationäre Pflege. Auch in der mobilen Pflege kommen für 15.400 Personen mit dieser Erkrankung nochmals 151 Millionen Euro dazu. Die Dokumentationen von Pflegeorganisationen zeigen: "Demenzerkrankte benötigen circa drei Mal so viele Pflegestunden wie Klientinnen und Klienten in der mobilen Pflege ohne Demenz", erklärt Reiss. Dazu kommen 596 Millionen Euro für 18.700 Personen mit 24-Stunden-Betreuung. Denn: "Bei 50 Prozent ist die Demenz der Auslöser für eine 24-Stunden-Betreuung."

Rund 3.800 pflegende Angehörige im erwerbstätigen Alter müssen darüber hinaus ihre Erwerbsarbeit reduzieren oder aufgeben. Sie konnten 2019 in Summe um 2,4 Millionen Arbeitsstunden weniger leisten - was 31 Millionen Euro kostete.

Der Wert dieser informellen Pflege von Angehörigen für den Staat ist allerdings weit höher: Das IHS berechnete, dass sich die 256.900 Stunden an Pflege und Betreuung der Demenzerkrankten schon ohne Aufsicht 2019 mit 4,6 Milliarden Euro zu Buche geschlagen hätten, wenn man sie wie professionelle Pflege bezahlen hätte müssen.

Monika Riedel, die dritte Studienautorin spricht darüber hinaus von Kosten, die sich nicht bewerten lassen. Die Betreuung und Pflege Dementer verschlechtert auch den Gesundheitszustand der pflegenden Angehörigen: "Pflege kann sinnstiftend und erfüllend sein. Wenn der Alltag mit Demenzkranken aber von Verhaltensauffälligkeiten dominiert ist, dann überwiegen die negativen Auswirkungen." Pflege verursache auch Depressionen. Die wiederum können sich durch soziale Isolation und weniger Freizeit nochmals verstärken.

Mehr Pflegegeld und mehr professionelles Personal

Die Kosten seien aber nicht quantifizierbar, weil "bei dieser Thematik alles miteinander zusammenhängt." Ihre Schätzung ist, dass ein Drittel der Demenzerkrankte betreuenden Angehörigen unter depressiven Symptomen leidet, das wären 16.000 Personen. "Depression ist außerdem ein Risikofaktor, selbst eine Alzheimer-Demenz zu entwickeln", sagt Riedel.

Um die Situation zu verbessern, würde Riedel an mehreren Stellschrauben drehen: etwa die 25 Extrapflegestunden, die es bei der Erschwernis Demenz pauschal gibt, zu erhöhen: "Die sind eigentlich zu niedrig, vor allem, wenn man die Motivationsgespräche betrachtet, die notwendig sind, bis Demenzerkrankte alltägliche Dinge machen." Die Caritas schlug kürzlich 45 Stunden vor.

Demenzdiagnosen müssten rascher passieren, damit Menschen nicht deshalb schlecht medikamentös eingestellt würden. Ein Missstand sei auch, dass viele auf Untersuchungstermine häufig lange warten mussten. "Da ist auch die Nahtstelle zwischen Gesundheits- und Pflegewesen intensiv gefordert."

Czypionka sagt, dass zudem mehr Pflegepersonal notwendig ist – nicht nur zur Entlastung pflegender Angehöriger, sondern, weil diese ohnehin weniger werden: "Auch weil die familiäre Pflege zunehmend erodiert und damit die informelle zunehmend in die formelle Pflege übergeht, braucht es mehr Pflegepersonen." 2030 werden laut Gesundheit Österreich-Erhebung wegen weniger informeller Pflege, Pensionierungen und der laufend älter werdenden Bevölkerung 75.700 professionelle Pflegekräfte fehlen. Maria wurde im Übrigen von ihrer Tochter gepflegt - diese selbst später von professionellen Pflegekräften.