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Demokratie erleben, nicht simulieren

Von Walter Hämmerle

Politik

EU-Erweiterung, Irak-Krieg, Pensionsreform, Streiks und Demonstrationen nun sogar auch in Österreich: Zu allem und jedem wird von uns eine Meinung, ein Standpunkt verlangt. Woher aber nehmen und nicht stehlen? Schließlich muss auch die politische Bildung wie jede andere auch erst angeeignet werden. Die Hauptlast kommt dabei, wie sonst oft auch, der Schule zu. Über den zukünftigen Weg der politischen Bildung in Österreich sprach die "Wiener Zeitung" aus Anlass der "Aktionstage Politische Bildung" mit dem zuständigen Verantwortlichen im Bildungsministerium, Manfred Wirtitsch.


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Mit der Einführung des Faches "Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung" für die 7. und 8. AHS-Stufe ab 2002 sieht Wirtitsch diesen Bereich für Österreich auf einem guten Weg. Zwar hinke man hinter Deutschland und den angelsächsischen Ländern Großbritannien und USA aus historischen Gründen "etwas" hinter her, ansonsten brauche man jedoch - vor allem angesichts der zur Verfügung stehenden knappen finanziellen Ressourcen - keinen Vergleich zu scheuen.

Was die Etablierung eines eigenständigen Faches betrifft, ist Wirtitsch skeptisch. Er sieht vielmehr den Trend in Richtung einer Kombination mit Geschichte. An den Berufsbildenden Schulen, wo Politische Bildung mit Rechtsfächern kombiniert wird, würde ein solcher Schritt zudem eine Konzentration auf eine berufsspezifische Rechtsausbildung erleichtern. Ein Zusammengehen mit Geschichte hätte gerade für die Aus- und Weiterbildung der Lehrer große Vorteile. Politische Bildung könnte so relativ einfach in das Lehramtsstudium integriert werden.

Dies bedeute jedoch keinesfalls eine Abkehr vom Unterrichtsprinzip, betont Wirtitsch. Doch sollte sich dieses in Zukunft vor allem auf fächerübergreifende Projekte konzentrieren.

Für Wirtitsch wurde mit der Einführung des Faches "Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung" ein "vorerst letzter Schritt" bei der Institutionalisierung des Faches gesetzt. Es spreche zwar inhaltlich nichts gegen die generelle Einführung der Politischen Bildung ab der 5. Schulstufe, wie dies etwa die SPÖ in einer parlamentarischen Initiative vor einiger Zeit gefordert hatte. Die Probleme ergäben sich jedoch spätestens bei der praktischen Umsetzung, ist Wirtitsch überzeugt. Wie schwer hier Veränderungen sind, haben ja gerade die jüngsten Diskussionen über Lehrplan-Entrümpelung oder die Kürzung bestehender zugunsten neuer Fächer gezeigt.

Lehrer-Streiks: Wenn Theorie auf Praxis trifft

Mit einem "lachenden und einem weinenden Auge" betrachtet Wirtitsch das Zusammentreffen von politischer Theorie und Praxis, wie sie im Moment in der Form ausgedehnter Lehrer-Streiks stattfindet. Ob hier nicht doch der "Albtraum" der Politiker, nämlich das Hineintragen politischer Konflikte in die Schulen, stattfindet?

Natürlich komme es hier auch zu einer Instrumentalisierung, aber genau so auch zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den ursprünglichen Ursachen des Konflikts. Anlass für eine allzu dramatisierende Sicht der Dinge sieht er aber nicht. Die Jugendlichen würden über ausreichend Kritikfähigkeit verfügen, um sich vor Instrumentalisierungsversuchen schützen zu können.

Schlechte Lobbying-Noten für politische Bildung

Mit Bedauern registriert der Leiter der Abteilung für Politische Bildung im Ministerium die Tatsache, dass sich die Lehrer des Faches oft nicht gegen die "Konkurrenz" aus anderen Fächern bei der Lehrerfortbildung aufgrund der enggesteckten finanziellen Rahmenbedingungen durchsetzen können. Hier hätten die so genannten Matura-Fächer einfach die bessere Lobby, konstatiert Wirtitsch. Auch bei der nun vom Ministerium an die Schulen delegierten Schulstundenkürzung befürchtet er, werde die Politische Bildung aufgrund mangelnder Durchsetzungsfähigkeit den Kürzeren ziehen. Als Konsequenz wünscht sich Wirtitsch mehr Selbstorganisation der Fachlehrer, um auf diese Weise ein wirkungsvolleres Lobbying für Politische Bildung an der eigenen Schule sicherzustellen.

Demokratie nicht simulieren, sondern erlebbar machen

Demokratie dürfe nicht nur simuliert werden, sondern müsse für Jugendliche in jenen Bereichen erlebbar gemacht werden, in denen sie selbst gestalten können, fordert Wirtitsch. In Anlehnung an Kreiskys Diktum wünscht er sich die "Durchflutung aller Gesellschaftsbereiche mit politischer Bildung". Das derzeit in Diskussion befindliche "Haus der Geschichte" könnte hierfür einen wertvollen Beitrag leisten. Doch nur für den Fall, dass es nicht in bloßer Geschichtsschreibung verharrt.