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Demokratie fängt in der Schule an

Von Birgit Schatz

Gastkommentare
Birgit Schatz ist Kinderrechtsbeauftragte von SOS-Kinderdorf.
© SOS-Kinderdorf

Wenn Kinder mitbestimmen, ist das keine Kleinigkeit.


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1,2 Millionen Schülerinnen und Schüler gibt es in Österreich. Keine Kleinigkeit. Laut einer repräsentativen Umfrage zum Schulstart gehen 40 Prozent nicht gern zur Schule. Muss uns das kümmern? Die Schule ist halt kein Ponyhof. Nun, 10.000 Stunden verbringen Kinder und Jugendliche bis zum Ende der Pflichtschulzeit in der Schule. Keine Kleinigkeit. 23 Prozent fühlen sich in ihrer Klasse nicht wohl. Für sie ist die Schule ein Ort, wo ihre individuellen Interessen und Bedürfnissen kaum respektiert werden. Laut einem Drittel der Befragten wird auf ihre Sichtweisen in der Schule kein Wert gelegt, jedes fünfte Kind traut sich von vornherein gar nicht seine Meinung zu sagen. Aber Schule ist doch ein Ort des Lernens, sie muss kein Wohlfühl-ort sein, oder etwa doch? Ist das Antrainieren einer Duck- und Verdrängungskultur schon bei den Jüngsten eine bewährte Bildungstradition in Österreich?

In Österreich gibt es 6.000 Schulsprecherinnen und -sprecher, ein Schülerparlament, eine Bundesjugendvertretung, ein Jugendstaatssekretariat, das Recht auf Mitsprache und Beteiligung in der UN-Kinderrechtekonvention und der Verfassung. Keine Kleinigkeit. Bis in die Schulklassen scheint all das aber großteils noch nicht durchgedrungen zu sein. Laut einem Drittel der Befragten gibt es an ihrer Schule nicht genug Möglichkeiten zur Mitbestimmung. Das ist sehr bedauerlich, meinten doch mehr als die Hälfte, sie würden lieber in die Schule gehen, wenn sie dort mehr mitgestalten könnten.

Und das ist bei all dem die gute Nachricht: Schülerinnen und Schüler wollen mitbestimmen! Darin liegt ein enormer demokratiepolitischer Keim - doch wird er gehegt und gepflegt? Nicht in der Schule. Je länger Jugendliche im System Schule bleiben, umso mehr vergeht ihnen die Lust, sich aktiv für Demokratie zu engagieren. "Wozu auch?", ist da zu hören. "Egal, was wir wollen, es interessiert ohnehin niemanden."

Die Schule muss sich ändern. Die Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen müssen ernstgenommen werden. Das wäre der innovativste Entwicklungsschub für das Schulsystem überhaupt. Viele Lehrerkräfte werden nun fragen: "Was denn noch alles?" Aber es geht hier nicht um ein zusätzliches Schulfach. Es geht nicht darum, noch mehr reinzustopfen in den bereits übervollen Schulalltag, sondern um einen Kulturwandel. Ja, Demokratie zu lernen, debattieren zu lernen, in Projekten Verantwortung zu übernehmen - das würde das Arbeiten in vielen Klassen kurzfristig auf den Kopf stellen. Aber wo dies bereits praktiziert wird, zeigt sich: Es zahlt sich aus. Die Kinder sind zufriedener und motivierter, ihre Beziehung zu den Lehrkräften verbessert sich drastisch, und aus dem pädagogischen Einmaleins ist bekannt, dass die Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden die wichtigste Basis für Motivation und Lernerfolg ist.

Wer also könnte etwas dagegen haben, konsequent die Interessen und Meinungen junger Menschen im System Schule zu berücksichtigen? Wohl nur, wer Angst hat, die Kontrolle zu verlieren. Angst und antidemokratisches Verhalten gehen oft einher. Doch wir sollten nicht mehr akzeptieren, dass ängstliche Menschen unseren Kindern die Freude und Begeisterung am Lernen stehlen. Schule braucht mehr Demokratie. Echte, gelebte, gewollte Demokratie. Und das ist keine Kleinigkeit!