Alteingesessene haben zu leichtes Spiel gegenüber politischen Neulingen.
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Menschen sollen sich mit weniger Angst auch politisch engagieren, betonte der Neo-Politiker Helmut Brandstätter. Die Suche nach engagiertem Nachwuchs lässt sogar die CSU Quoten für Frauen und für unter 35-Jährige beziehungsweise unter 45-Jährige in Kreis- und Bezirksvorständen einführen. Aber welche Erfahrungen machen Menschen mit Interesse an politischer Mitgestaltung im Alltag in Österreich?
Unternehmer, die sich in ihrer Interessenvertretung erfolgreich engagieren, aber keinem dominierenden politischen Flügel angehören, werden in kurzen Abständen auffällig häufig geprüft: Betriebsanlage, Arbeitnehmerschutz, Gewerberecht . . . - klar, dass die Betroffenen keine Zeit mehr für die politische Teilhabe finden.
Menschen mit Migrationshintergrund ohne österreichische Staatsbürgerschaft erfahren vor den Nationalratswahlen, dass sie kein Wahlrecht hätten. Ausgelassen werden dabei die verschiedenen Möglichkeiten der politischen Teilhabe auf Gemeinderats-, Sozialpartner- und Bildungsinstitutionsebenen. Statt Möglichkeiten aufzuzeigen, wird großflächig demotiviert und das Gefühl des Außenseitertums verstärkt.
Mehrheitsverhältnisse im Parlament können auch auf Einschätzungen und nicht auf Tatsachen beruhen. Nachweisliche Zählirrtümer von hauptberuflich Verantwortlichen können nicht korrigiert werden. Beim erstaunten Publikum, das die Mandatare durch Wahlen zum Abstimmen legitimiert hat und über Steuergelder dafür bezahlt, sinkt in der Folge die Motivation zur Mitbestimmung noch weiter.
Mitglieder einer gesetzlichen Interessenvertretung, die ihre Chance auf inhaltliche Diskussion mit gewählten Mandataren im dafür gesetzlich vorgesehenen Rahmen nutzen wollen, werden durch in der Geschäftsordnung geschulte Mitglieder der Mehrheitsfraktion blockiert.
Das einfache Mitglied ist dann davon überzeugt, dass politisches Engagement "außer Ärger nichts bringt".
Es ist gefährlich für unsere Demokratie, wenn Insiderwissen um Geschäftsordnungen und Verfahrensweisen die bedeutendsten Instrumente sind, um Neulinge, die sich nicht einer herrschenden Gruppierung anschließen wollen, draußen zu halten. Es ist gefährlich, wenn Angebote zur Beteiligung von der Angst vor Veränderung und der Forderung nach totaler Loyalität geprägt sind. Das Ergebnis ist ein sich selbst reproduzierendes erstarrtes System, das den Machterhalt und das "Wir gegen die" vor jede vernünftige Erkenntnis stellt. Die demokratische Entwicklung neuer Lösungsansätze bleibt damit auf der Strecke. Dabei ist dies unsere einzige Chance - gerade in einer globalen und digitalisierten Welt.
Was wir dafür brauchen, sind offene und klar nachvollziehbare Strukturen, allgemein bekannte Spielregeln in einer einfachen Sprache und Akteure, die im Verantwortungsbewusstsein für die Allgemeinheit handeln. Wer meint, Machterhalt diene dem Allgemeinwohl, dem sei ein Blick nach Hongkong und in die USA empfohlen: Der Kampf um die Demokratie konsumiert dort bereits massiv Energien, die besser in den Fortschritt investiert wären.