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"Demokratie gibt es in Österreich nur alle fünf Jahre"

Von Christian Rösner

Politik

Die Kultur der Mitsprache erhöht laut Kaufmann das Interesse an Politik.


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"Wiener Zeitung":Stärkt mehr direkte Demokratie automatisch die Demokratie an sich oder lediglich die Möglichkeit der Meinungsäußerung für elitäre Bevölkerungsgruppen?Bruno Kaufmann: Wenn es überhaupt keine direkte Demokratie gibt, dann profitieren diejenigen mehr davon, die bereits stark sind. Denn die direkte Demokratie ist ja ein zusätzliches Machtteilungsinstrument und keines, das die indirekte Demokratie ersetzt. Momentan herrscht die Logik: Das Volk ist als Souverän kompetent genug, seine Vertreter zu wählen, aber nicht kompetent genug, eine Einzelfrage zu entscheiden. Demokratie gibt es in Österreich momentan nur alle fünf Jahre - nämlich nur dann, wenn Wahlen stattfinden.

Ist es damit getan, einfach mehr Volksabstimmungen abzuhalten?

In der Praxis hängt natürlich alles davon ab, wie die direkte Demokratie eingeführt und ausgestaltet wird. Es gibt auch Fälle, wo die direkte Demokratie eingeführt wird, aber dann schließlich so ausgestaltet ist, dass Macht nicht geteilt, sondern monopolisiert wird. Das ist das berühmte Plebiszit: Man sagt, die Bürger dürfen in Volksbegehren ihre Meinung äußern, aber letztendlich sind es wir, die gewählten Politiker, die entscheiden, ob eine Abstimmung kommt oder nicht. Die Repräsentativität der indirekten Demokratie entwickelt sich ja eigentlich daraus, dass schwierige Themen tiefer, breiter und länger diskutiert werden als Fragen, die vielleicht gar nicht so viele Kontroversen und Konflikte auslösen.

Bundeskanzler Werner Faymann will, dass 700.000 Unterschriften bei einem Volksbegehren Voraussetzung zur Abhaltung einer Volksbefragung sind. Um eine Partei zu gründen und in den Nationalrat zu kommen, braucht man weit weniger. Wie hoch sollte die Hürde Ihrer Meinung nach sein?

Es kommt darauf an, worum es geht - um Gesetze, um die Verfassung? Wie lange hat man Zeit, um die Unterschriften zu sammeln; wo und wie darf man sie sammeln etc. Hier spielt vor allem der Zugang zur direkten Demokratie eine wichtige Rolle. Wenn der erschwert wird, wird direkte Demokratie zu Manipulation.

Wo liegt die Grenze - soll etwa auch über Grundrechtsfragen abgestimmt werden oder über Fragen, bei denen große über kleinere Gruppen abstimmen?

Man muss erst einmal darüber diskutieren, was überhaupt ein Grundrecht ist. Die Dinge ändern sich laufend - niemand hätte sich vor 50 Jahren gedacht, dass in der Schweiz in einer Volksabstimmung einmal 60 Prozent für gleichgeschlechtliche Partnerschaft stimmen würden. Vor zehn Jahren war das dann nicht mehr so überraschend. Auf der anderen Seite gibt es Grundrechte, in denen sich Staaten aus der Erfahrung der Geschichte dazu entschlossen haben, gewisse Dinge einfach nicht mehr zu verhandeln. Nicht ohne Grund gibt es Zweifachabstimmungen oder eine Zweidrittelmehrheit. Trotzdem sollten Grundrechte eine Legitimität haben, die immer aufs Neue gewonnen werden muss. Der Dialog zeichnet die Demokratie aus.

Die Schweizer haben lange Erfahrung mit der direkten Demokratie, sind die Österreicher reif dafür?

Auf jeden Fall. Wenn man weiß, dass man bei wichtigen Fragen immer wieder mitbestimmen darf, dann hat man über die Kultur des Mitdiskutierens auch die Einsicht, dass der Verlust der Umsetzung nicht ein Ende ist, sondern der Anfang von etwas Neuem. Und das ist der grundlegende Unterschied zwischen der reinen indirekten Demokratie und der Demokratie, die Beteiligung zu einem integralen Bestandteil macht. Ganz grundsätzlich kann man sagen: Die Bürger sollten über Fragen abstimmen dürfen, wenn sie sich dafür ebenso qualifizieren, wie es das Parlament getan hat. Denn das Parlament ist ja nur Vertreter des Volkes und nicht eine moralisch-ethisch höhere Entscheidungsinstanz.

Ist man in Europa reif dafür?

Natürlich. Direkte Demokratie leistet einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der immer komplexer werdenden Politik auf europäischer Ebene. Die Menschen wissen ja oft gar nicht mehr, wo Entscheidungen gefällt werden. Mit dem europäischen Bürgerinitiativrecht wurden bereits sechs Initiativen lanciert, die dieser Frage nachgehen. Für den einzelnen Bürger ist das eine hochwertvolle Geschichte. Europa braucht mehr direkte Demokratie. Ohne sie geht das Interesse der Menschen an Europa ganz verloren.

Aber führt direkte Demokratie nicht dazu, dass die Politik sich vor der Verantwortung drückt und die schwierigen Fragen an die Bürger weitergibt?

Es muss natürlich durch das Gesetz geregelt sein, unter welchen Bedingungen welche Fragen zur Volksabstimmung kommen. Alles andere hat nichts mit direkter Demokratie zu tun, sondern ist Manipulation von oben herab, um die indirekte Demokratie auszuhebeln.

Stärkt Ihrer Meinung nach mehr direkte Demokratie die manipulative Wirkung von Boulevard-Medien?

Vergleichen Sie doch einmal die Schweiz mit Großbritannien: Wo sind die Boulevard-Zeitungen mächtiger? Gerade in Ländern mit indirekter Demokratie, wo die Macht auf ganz wenige Menschen verteilt ist, haben die Medien den größten Einfluss. In Großbritannien haben die Zeitungen gesagt: Wählt Labour. Und Blair wurde gewählt. Dann haben sie gesagt, er muss abgewählt werden. Und er wurde abgewählt. Manipulation der Vielen ist schwieriger als Manipulation der Wenigen.

Also ist direkte Demokratie für Sie eine Art universelles Heilmittel?

Als integraler Bestandteil der repräsentativen Demokratie und bürgerfreundlich ausgestaltet: Ja. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es nur positive Effekte gibt, nämlich, dass es in der Politik nicht nur ums Gewinnen oder Verlieren geht, sondern dass direkte Demokratie vor allem den Diskussionsprozess fördert. Ich denke, es gibt in Österreich keine Alternative, als die Demokratie zu demokratisieren - auf welche Art auch immer. Stehen zu bleiben ist zu statisch gegenüber den vielen Veränderungen, denen wir ständig ausgesetzt sind.

Zur Person

BrunoKaufmann

Der gebürtige Schweizer ist Demokratie-Stadtrat in Falun (Schweden) sowie Direktor des "Initiative and Referendum Institute Europe" an der Universität Marburg in Deutschland - eines Think Tanks, der sich mit modernen Formen der direkten Demokratie beschäftigt.