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Demokratie in den Händen von Plutokraten

Von Thomas Seifert

Politik

US-Star-Ökonom Jeffrey D. Sachs über Trump, ParadisePapers und wieso der Klimawandel in einer Katastrophe endet.


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Der Starökonom Jeffrey D. Sachs im Interview mit Außenpolitik-Ressortleiter Thomas Seifert.

"Wiener Zeitung": Wagen wir einen Blick ins Paradies, genauer in die "Paradise Papers", jene Zeugnisse von Steuerkniffen und Steuerhinterziehung, die zuletzt publik geworden sind. Gibt es einen Weg, dies zu unterbinden?<p> 

<p>Jeffrey Sachs: Man geht davon aus, dass acht Prozent der Vermögen der Welt in Steueroasen geparkt ist, das wären fast 8 Billionen Dollar. Steueroasen gehen zurück auf die Zeit des britischen Empire, die Vereinigten Staaten haben diese Praxis nach dem Zweiten Weltkrieg übernommen. Und so ist es kein Geheimnis, dass die Hedgefondsindustrie auf den Cayman Islands in der Karibik ihren Hauptsitz hat. Was man stets bedenken sollte: Steueroasen sind keine Randerscheinungen, die sich parasitisch vom System ernähren, sie sind das System. Als Superreicher hat man in unserer Welt viele Möglichkeiten: Man kann sein Geld auf schönen Inseln in der Karibik verstecken und mit der Luxus-Jacht dorthin segeln, um es zu besuchen - wenn nicht gerade ein Hurrikan die Gegend verwüstet. Wenn man also die "Paradise Papers" studiert gibt es keinen einzigen Punkt, der irgendjemanden überraschen sollte. So funktioniert unser System. Genauso wenig ist es ein Geheimnis, wie man diese Steueroasen trocken legen könnte: Die USA und Großbritannien könnten das mit einem Federstrich mit der Verabschiedung entsprechender Gesetze tun. Dann bringt man noch Vertreter von Luxemburg, den Niederlanden, der Schweiz und Liechtenstein dazu.<p>Ist das nicht unrealistisch?<p>Die Frage, die sich für die Normalbürger stellt, lautet: Wie können wir unsere Demokratie wieder den Händen dieser Plutokraten entreißen? Das wird ein wirkliches Ringen, ein echter Kampf. Dazu kommt: Wir wollen als Konsumenten die Leistungen von Unternehmen wie Apple, Amazon oder Facebook. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders, den ich im Wahlkampf unterstützt habe, spricht jeden Tag davon, wie wir die Kontrolle von den mächtigen Pharmariesen, Großbanken, Ölkonzernen und IT-Giganten wieder zurückerlangen. Die einzelnen Regulierungsschritte, die dazu nötig wären, sind nicht das große Problem. Die große Herausforderung ist, die politische Macht der Konzernriesen wieder einzudämmen. Diese Unternehmen können mit anonymen Zahlungen ins politische System ihren Interessen finanziellen Nachdruck verleihen, sie können Politiker dazu bringen, so oder so abzustimmen, und können es sich leisten, gegen missliebige Politiker Gegenkandidaten in Stellung zu bringen oder denen zumindest Facebook-Trolle an den Hals zu hetzen. Die Macht der Konzerne übersteigt heute die Macht jedes einzelnen Landes. Es braucht also viel mehr Aktionismus, um den Plutokraten die Macht zu entreißen.<p>Vor einem Jahr wurde Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt. Was ging Ihnen am 8. November 2016, dem Tag seiner Wahl durch den Kopf?<p>Mir war von Anfang klar, dass das eine sehr seltsame Periode in der Geschichte der Vereinigten Staaten werden würde. Aber ich muss zugeben, dass ich damals nicht geahnt habe, wie instabil Donald Trumps Regierung sein würde.<p>Ist es also schlimmer gekommen als erwartet?<p>Ja. Seine Fähigkeiten haben sich als noch geringer herausgestellt als erwartet und seine psychische Konstitution als noch labiler. Dazu kommen sein unerträglicher Machismo und seine chronischen Lügen. Ich habe unterschätzt, wie ungeeignet dieser Mann für Amerikas höchstes Amt sein würde. Dabei ist es ja noch recht tröstlich, dass er aufgrund seiner Inkompetenz keine Gesetze durch den Kongress bringen kann. Sein Vermögen, komplexe Prozesse zu durchschauen und zu steuern, ist sehr eingeschränkt. Wir driften dahin. Ich fürchte, der gesamte politische Prozess ist zusammengebrochen. Das haben wir nicht nur bei der Budgetdebatte erlebt, sondern bereits davor bei der Gesundheitsdebatte. In beiden Fällen haben wir erlebt, dass die Regierung von Donald Trump keine ernsthaften Pläne und keine ernsthaften Zahlen vorlegt und kein wie auch immer geartetes Interesse an einer ernsthaften Debatte hat. Stattdessen gibt es Geheimpläne bestimmter Interessensgruppen innerhalb der Republikanischen Partei. Da gibt es ein paar Multimilliardäre, die hohe Summen an die Partei gespendet haben, die spielen da: "Wünsch Dir was." Was diese Leute wollen, ist zwar nicht im Interesse der meisten Amerikaner, aber das kümmert offenbar niemanden.<p>Sie sagen: Die von den Republikanern angedachte Steuerreform ist toll für die Reichen, aber da ist nichts dabei, was all diesen unzufriedenen Menschen am unteren Ende des sozialen Spektrums nützt, die Donald Trump gewählt haben. Warum sollte Trump das machen?<p>Zuerst einmal: Die niedrigen Zustimmungsraten in den aktuellen Umfragen sprechen eine eindeutige Sprache. Nur 34 Prozent der Befragten sind mit seiner Amtsführung zufrieden, über 60 Prozent sind unzufrieden. Die 34 Prozent, die immer noch nicht unzufrieden sind, haben ihn vermutlich wegen seiner Anti-Zuwanderungs-Haltung gewählt. Denen geht es um Identitätspolitik. Was diesen Leuten nicht klar ist: Wer von Trumps Politik wirklich profitiert, sind die Superreichen. Diese Leute sind keine Populisten, sondern denen geht es um ihr eigenes Fortkommen. Die Energie-Magnaten und Multimilliardäre David und Charles Koch, Hedgefonds-Manager Robert Mercer, Casino-Tycoon Sheldon Adelson - das sind heute die wichtigsten Spender der Republikanischen Partei. Diese Leute sind extrem egoistische, extrem gierige und extrem manipulative Charaktere. In Trumps Amerika macht sich eine ungenierte Plutokratie breit. Doch Trumps Anhängern ist offenbar wichtiger, dass er nach einem Massaker in einer Kirche weiter davon spricht, dass jeder Amerikaner das Recht haben soll, Schusswaffen zu tragen. Oder es ist ihnen wichtiger, dass Trump den Islam angreift. Viele Populisten und Demagogen haben mit Hass oder Zwietracht Politik gemacht, während ihre Außen- oder Wirtschaftspolitik ein Desaster für jene sind, die diese Populisten und Demagogen unterstützen.<p>Bis jetzt war diese Regierung mit keiner schweren Krise konfrontiert. Was passiert, wenn Trump in den Krisenmodus schalten muss?<p>Kaum jemand in dieser Administration ist für den Job, den er oder sie ausübt, in irgendeiner Weise geeignet. Finanzminister Steven Mnuchin ist keineswegs kompetent genug für seine Aufgabe, Handelsminister Wilbur Ross vermittelt auch nicht den Eindruck, als würde er mit ruhiger, sicherer Hand agieren.<p>Könnte Trump außenpolitische Krisen meistern?<p>Das Risiko eines Konflikts mit Nordkorea ist hoch wie selten zuvor, zudem wächst die Besorgnis, was sich für ein Konflikt zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zusammenbraut. Da gibt es Potenzial für einen neuen Krieg. Zudem: Was passiert, wenn die Untersuchungen des Sonderermittlers Robert Mueller - der mögliche Absprachen zwischen Trumps Wahlkampfteam und russischen Verbindungsleuten untersucht - Trump näherrücken: Stürzt der Präsident die USA dann in ein außenpolitisches Abenteuer, um von diesen Ermittlungen abzulenken?<p>Sie gehören zu einer Gruppe von Wissenschaftern, die lautstark vor den Folgen des Klimawandels warnen. Diese Woche wurden neue Zahlen veröffentlicht: 2016 war schon wieder ein Rekord-Jahr, was den Kohlendioxid-Gehalt in der Erdatmosphäre anlangt. Dennoch sind die Maßnahmen zur Emissions-Eindämmung weiter bescheiden. Sind diese Warnungen nicht langsam sinnlos?<p>Nein. Man sollte Fakten nicht als Alarmismus abtun. Wir sind sehr nahe an der Gefahrenzone, das kann ich leider nicht ändern. Der extreme Anstieg des Kohlendioxidgehalts in diesem Jahr könnte seine Ursachen im Wetterphänomen El Ninjo haben, viel wahrscheinlicher ist aber, dass die natürlichen Kohlendioxid-Puffer-Systeme überlastet sind. Bisherige Kohlendioxid-Lager könnten zu Kohlendioxid-Emittenten werden. Ein Beispiel: Der Amazonas-Regenwald ist ein wichtiges Kohlendioxid-Lager, das Kohlendioxid wird zu Biomasse. Wenn der Wald aber aufgrund hoher Temperaturen immer trockener wird, dann wird der Regenwald zu einer Emissionszone. Wenn das aber passiert, steuern wir auf eine katastrophale Entwicklung zu. Das scheint durchaus denkbar zu sein. Es gibt aber auch ein paar Dinge, die uns optimistisch stimmen sollten: Technologische Lösungen kommen schneller in Griffweite, als bisher angenommen. Die Kosten für Windenergie, Solarenergie und Energiespeicher sinken dramatisch. Das sollte uns dazu motivieren, den Wechsel im Welt-Energie-Regime möglichst rasch zu vollziehen - weg von fossilen Brennstoffen, hin zu den Erneuerbaren. Gleichzeitig bläst uns der Gegenwind der Kohle-, Öl- und Gaslobby ins Gesicht. Aber: Die Rolle der Öl- und Gasindustrie sinkt. Diese Industrien sind einfach nicht zukunftsfähig. Ich habe immer gesagt, dass der gigantische Ölkonzern Exxon Mobile bis zum Jahr 2050 eine Fußnote der Geschichte sein sollte.<p>In China gibt es offenbar nach Jahren des hemmungslosen Raubbaus an der Umwelt ein Umdenken. Setzt das Reich der Mitte nun wirklich auf erneuerbare Energieträger?<p>Kein Land der Welt steckt derzeit mehr Geld und Ressourcen in erneuerbare Energieträger, als China das tut. Das Reich der Mitte will in Zukunft der führende Produzent von erneuerbaren Energieproduktionsanlagen werden. Wir werden also in Zukunft chinesische Elektroautos fahren oder mit chinesischen Elektrofahrrädern durch die Gegend surren. Wir werden in China produzierte Fotovoltaikanlagen errichten und in China gefertigte Windenergieanlagen aufstellen. Dabei sollte dieser Markt auch europäische oder amerikanische Anbieter interessieren, oder?<p>Führt der Klimawandel auch zu politischer Instabilität?<p>Absolut. Die besonders trockenen Zonen des Planeten sind besonders betroffen. Es zieht sich ein ganzer Gürtel der politischen Instabilität von der Sahara und der Sahelzone und Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Zentralasien. In Zukunft werden auch niedrig gelegene Küstenregionen, die von tropischen Zyklonen heimgesucht werden - ob das nun in der Karibik ist, im Indischen Ozean oder am indonesischen Archipel -, noch stärker betroffen sein. Dabei sind die Stürme doch jetzt schon verheerend genug! Wenn die Pessimisten recht behalten, dann werden durch den Anstieg der Meeresspiegel hunderte Millionen Menschen ihren Lebensraum verlieren. In der interglazialen Periode vor 130.000 bis 115.000 Jahren war der Meeresspiegel um 8 Meter höher als heute. Die Klimatologen warnen davor, dass das arktische Eis vor der Desintegration steht. Vielleicht passiert das schon in 20 Jahren - vielleicht auch erst in 200. Aber wir sind auf einem sehr gefährlichen Pfad unterwegs.

Jeffrey Sachs ist ein US-Ökonom und Direktor des Earth Institute an der Columbia University in New York und Sonderberater der Millennium Development Goals. Sachs - er ist auch regelmäßiger Gast beim europäischen Forum Alpbach und am IIASA in Laxenburg - war in Wien, um den "Globart Award 2017" für sein Engagement als Vordenker für eine globale ökosoziale Marktwirtschaft entgegenzunehmen.