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Demokratie in der Islamstunde

Von Nermin Ismail

Politik
Islamstunde für Volksschüler: türkischstämmige Lehrerin, Unterrichtssprache Deutsch.
© Asma Aiad

Politische Bildung wird auch im islamischen Religionsunterricht immer wichtiger.


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Wien. Freitagnachmittag. Hochschullehrgang für Islamische Religion an Pflichtschulen. Zwölf Studierende sitzen im Hörsaal Eins. Brainstorming zum Thema Demokratie ist angesagt. Die Gedanken sprudeln nur so aus den angehenden Religionslehrern. "Wahlen, Gerechtigkeit, Toleranz, Respekt, Religionsfreiheit, Österreich, Gleichheit, Pluralismus, Meinungsfreiheit, Presse, Islam" und viele andere Begriffe werden an die Tafel geschrieben. "Was stellst Du Dir darunter vor? Was hat das mit Politischer Bildung zu tun?"

Der Dozent bespricht mit den Studierenden die einzelnen Begriffe. Danach diskutiert die Hochschulklasse lebhaft Fragen rund um Partizipation und Emanzipation. Welche Möglichkeiten der Mitgestaltung stehen mir als Bürger zu? Welche Rolle habe ich in der Gesellschaft? Fragen, mit denen sich angehende Lehrer beschäftigen müssen - und die sie selbst eines Tages mit ihren Schülern diskutieren werden.

Schon 66.000 Schüler besuchen Islamunterricht

Hier, im Rahmen des privaten Studiengangs für das Lehramt für islamische Religion an Pflichtschulen in Wien (Irpa), wird die nächste Generation von islamischen Religionslehrern ausgebildet. Studierende erhalten eine theoretische und praxisorientierte Ausbildung auf Hochschulniveau.

Der Bedarf an islamischen Religionslehrern - korrelierend mit der steigenden Zahl der islamischen Schüler - wird immer größer. Seit dem Schuljahr 1982/83 wird in Österreich Islamunterricht angeboten. Vor drei Jahren besuchten etwa 57.000 muslimische Schüler den islamischen Religionsunterricht in Österreich. Heuer sind es bereits rund 66.000 Schüler. Allein in Wien besuchen etwa 30.000 Schüler den islamischen Religionsunterricht. Sie werden von rund 170 Religionslehrern unterrichtet.

Politische Bildung spielt dabei eine immer größere Rolle. Seit 2009 will das heimische Bildungswesen all seine Schüler zu verantwortungsvollen politischen Bürgern heranziehen. Österreich ist europaweit das einzige Land, in dem auf allen Ebenen ab 16 gewählt werden darf. 2007 wurde diese Wahlalterssenkung von einer breiten öffentlichen Diskussion begleitet. Die Schüler sollen jedenfalls auf institutionalisierter und systematischer Ebene, also in der Schule, den Umgang mit ihrem neuen Recht erlernen. So nahm die Politische Bildung 2009 Einzug in die Lehrpläne.

Politische Bildung als eines von insgesamt zwölf Unterrichtsprinzipien soll in jedem Fach berücksichtig und verfolgt werden. Auch der (islamische) Religionsunterricht müsste sich theoretisch der Erreichung der Ziele der Politischen Bildung widmen. Doch kann er das überhaupt?

Politische Bildung im islamischen Religionsunterricht

Farid Hafez, Politologe und Mitglied der Interessensgemeinschaft Politische Bildung, sieht "eindeutig Überschneidungen" zwischen dem islamischen Religionsunterricht und dem Unterrichtsprinzip Politische Bildung. "In der Islamischen Religionslehrerausbildung ist man sich bewusst, dass der Islam oft ein politisches Thema in der Öffentlichkeit ist. Gerade hier liegt es auch in der Verantwortung der Lehrer, eine differenziertere Sicht zu ermöglichen", betont Hafez, der islamische Religionslehrer in spe unterrichtet.

Der islamische Religionsunterricht ist 2009 ins Feuer der Kritik geraten: Zwanzig Prozent der islamischen Religionslehrer hätten ein Problem mit Demokratie, hieß es in einer aufsehenerregenden Studie von Mouhanad Khorchide. Wenn Islam und Demokratie unvereinbar seien, wie könne dann der islamische Religionsunterricht einen Beitrag zur Politischen Bildung leisten, wo doch dort die Demokratieerziehung im Mittelpunkt steht?

Heute, fünf Jahre nach der Studie, hat sich wohl einiges geändert. Der 2011 novellierte Lehrplan für den islamischen Religionsunterricht sieht vor, dass Themen wie das Verhältnis von Europa bzw. Österreich und Islam besprochen werden. Der Lehrplan ist so ausgerichtet, dass er dezidiert gesellschaftliche Partizipation im Unterricht behandelt sehen will. Schließlich hat der Hochschulehrgang für Islamunterricht an Pflichtschulen und Hauptschulen 2013 einen neuen Lehrplan erarbeitet. Und nach mehreren Anläufen ist das Bachelorstudium wie jedes andere anerkannt. Unter anderem wird dort Politische Bildung gelehrt.

Mit der Hochschulwerdung der Irpa orientierte man sich daran, das Unterrichtsprinzip Politische Bildung in das Curriculum zu integrieren. "Auch in der letzten Novellierung wurde dieser Trend weitergeführt, da man sich einig war, dass die zeitgenössischen Modelle der Politischen Bildung - wie das Selbstreflexive Ich - von zentraler Bedeutung für eine Kompetenzorientierung in der Religionslehrerausbildung sind", schildert Hafez.

So kann der islamische Religionsunterricht sehr wohl einen Beitrag zur Demokratieerziehung leisten. Die islamische Religionspädagogik im deutschsprachigen Raum befindet sich aber erst im Aufbau, es bleibt noch viel zu tun. Entscheidend ist und bleibt die Frage nach der praktischen Umsetzung.

Der Grundsatzerlass "Politische Bildung" wurde 1978
beschlossen und gilt für alle Schultypen und Schulstufen. Er bildet die  Grundlage für das nterrichtsprinzip Politische Bildung, welches
fächerübergreifend verfolgt werden soll. In der Politischen Bildung stehen vier Kompetenzen im Zentrum: die Sachkompetenz, die Handelskompetenz, die Methodenkompetenz und die Urteilskompetenz.

Politologe Reinhard Krammer beschreibt Kompetenz als "eine durch den Menschen verinnerlichte und dauerhaft angelegte Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft, bestimmte Probleme zu lösen (...) um Problemlösungen
in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können". Sie sollen den Menschen befähigen, selbstbestimmt zu denken, um
Interessen zu erkennen und diese vertreten zu können.

Die Urteilskompetenz beinhaltet die Fähigkeit, politische Entscheidungen zu treffen. Die Handlungskompetenz schließlich soll ermöglichen, die Entscheidungen zu artikulieren und an der Lösung von Problemen
mitzuwirken. Dabei werde, nach Hellmuth und Klepp, der "Aktivbürger" angestrebt, der "befähigt wird und fähig ist (...) Konflikten aktiv zu begegnen und die Gesellschaft somit mitzugestalten".