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Demokratie in Hinterzimmern: Wenn Politiker auf Bundesländer-Tour gehen

Von Walter Hämmerle

Analysen

Josef Pröll ist mitten drin, Alfred Gusenbauer hat es schon hinter sich und Eva Glawischnig noch vor sich: Die Rede ist von der härtesten Tour, die Österreichs Politik zu bieten hat - und damit ist nicht die vielzitierte Ochsentour gemeint, mit deren Hilfe sich einfache Parteimitglieder mitunter bis ganz nach oben dienen (quasi das austriakische Pendant zum US-amerikanischen Mythos vom Tellerwäscher, der es zum Milliardär bringt). | Es geht um die Tour durch die Bundesländer, bei der Spitzenpolitiker aus dem Bund bei ihren eigenen Funktionären um Unterstützung für ihren Kurs werben, um Verzeihung für begangene Fehltritte bitten oder sich einfach über die vorherrschende Stimmung an der vielzitierten Parteibasis informieren.


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Der Grund dafür ist ein eskapistischer: Es geht darum, aufgestauten Emotionen, wie sie in Funktionärsseelen nun einmal rollenspezifisch besonders häufig auftreten - wer sonst regt sich noch über Politik auf? -, ein Ventil zu bieten. Auf diese Art können sich in Hinterzimmern schlechte Stimmungen entladen, ohne dass Kameras und Mikrofone live dabei sind.

Wenn frustrierte Funktionäre ihrem Leid temperamentvoll Ausdruck verleihen, freuen sich zwar Medien und Mitbewerber, dem öffentlichen Erscheinungsbild der Partei wird jedoch nachhaltig Schaden zugefügt. Weil die Wähler bekanntlich keine Parteien wählen, die streiten. Man muss nur die steirische ÖVP unter Waltraud Klasnic oder die Kärntner SPÖ der letzten Jahre befragen. Übrigens verweigern die Bürger auch streitenden Koalitionsparteien die Wiederwahl, wie der 28. September bewiesen hat.

Von dieser goldenen Regel sind offensichtlich nur die Grünen und die beiden freiheitlichen Parteien ausgenommen. Die Ökopartei wertete irrtümlich den internen Waffenstillstand, vulgo auch Friedhofsruhe genannt, als Beleg der eigenen politischen Reife. Nur die Wähler hat das nicht entzückt. Und FPÖ und BZÖ liegen einander bekanntlich seit ihrer Spaltung beharrlich in den Haaren - und die Stimmen sind ihnen beim letzten Mal trotzdem nur so zugeflogen. Ganz offensichtlich gibt es eine Zwei-Klassengesellschaft was die Toleranzschwelle für Parteienhader anlangt. Was den einen erlaubt ist, wird bei den anderen noch längst nicht toleriert.

Weil aber außerhalb autoritärer Strukturen und sonstiger Diktaturen noch niemand einen Weg gefunden hat, wie sich in Massendemokratien akzeptierte politische Entscheidungen anders als über den konfrontativen Austausch von Argumenten fällen lassen, muss eben weitergestritten werden. Zur Not eben in nicht-öffentlichen Hinterzimmern auf Bundesländertouren. Obwohl das ein Rückschritt ist, demokratiepolitisch gesehen. Die abschließende Show auf der Bühne des Parlaments bleibt davon unberührt.

analyse@wienerzeitung.at