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Der eigentliche Staatsstreich in der Türkei hat bereits nach den Wahlen im Juni 2015 stattgefunden.
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Es kursieren dutzende Gerüchte darüber, wie der gescheiterte Putsch in der Türkei geplant wurde und wer hinter alldem steht. Die Bandbreite reicht vom islamischen Prediger Fethullah Gülen bis zu den USA und Israel, die für alles verantwortlich gemacht werden, was in der Türkei so schiefläuft. Viele ernstzunehmende Journalisten machen Präsident Recep Tayyip Erdogan selbst für den Putsch verantwortlich. Auch wenn er das nicht selber geplant habe, so habe er doch darüber Bescheid gewusst, behaupten manche. Was sich nun wirklich abgespielt und wer die Fäden im Hintergrund gezogen hat, werden wir so bald nicht erfahren. Bei näherem Hinsehen wird zumindest eines klar: Präsident Erdogan selbst ist definitiv der Profiteur dieses missglückten Coups und kann sich so nicht nur innerstaatlich als Held inszenieren, sondern auch nach außen hin als Beschützer der Demokratie.
Gerüchte über weitere Versetzungen von Soldaten und Richtern lagen schon vor Monaten in der Luft. Auch war klar, dass Erdogan für die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei einen neuen taktischen Schachzug brauchen würde. Der Putsch hat dem Präsidenten zusätzlichen Rückenwind auf dem Weg dorthin gegeben und seinen Rückhalt in der Bevölkerung gesteigert. Vor allem durch die Geiselnahme des Generalstabschefs und des Polizeichefs durch die Putschisten konnte der mächtige Präsident zum Retter der Nation avancieren. Nun hat er auch die Legitimation durch das Volk erhalten, tausende unangenehme/kritische Richter, Staatsanwälte, Soldaten und Polizisten verhaften zu lassen.
Der eigentliche Staatsstreich hat aber bereits nach den Wahlen im Juni 2015 stattgefunden. Nachdem die pro-kurdische HDP große Erfolge bei den Wahlen erzielt hatte, kam das Erdogan-Regime sofort mit einer Retourkutsche. In dutzenden kurdisch besiedelten Städten im Südosten des Landes wurde der Ausnahmenzustand ausgerufen. Täglich erreichten uns neue Meldung über Belagerungen kurdischer Städte, Ausgangssperren, massenweise Festnahmen von Oppositionellen sowie Straßenschlachten zwischen Polizei oder Armee und kurdischen Jugendlichen. Viele mussten deshalb die Region und ihr Zuhause verlassen. Die Zahl der Flüchtlinge wird mittlerweile auf 300.000 bis 400.000 Menschen geschätzt.
Die Türkei bewegt sich immer mehr in Richtung einer Diktatur, und der versuchte Putsch ist nur eine der Folgeerscheinungen der Machtpolitik von Erdogan und seiner Gefolgschaft. Weil diese Angst um ihre Zukunft haben, greifen sie zu immer autoritäreren Tönen, die den Boden für weitere Instabilität bereiten. Diese AKP-Politik wird den türkischen Staat mit Sicherheit gegen die Wand fahren und den Krieg sowie die Flüchtlingskrise noch weiter entfachen. Die Demokratisierung der Türkei ist die einzige Lösung gegen Putsch und Diktatur - dieser Herausforderung scheint die AKP nicht gewachsen.