Zum Hauptinhalt springen

Demokratie ist nicht nur für Optimisten

Von Walter Hämmerle

Kommentare

Das Wahre zu erkennen, das Schöne zu fühlen und das Gute zu wollen, ist unser Traum vom Menschen. Aber eben nicht die Realität.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Muss man, um ein guter Demokrat zu sein, auch vom Guten im Menschen überzeugt sein? Oder ist es ebenso zulässig, den Wolf im Menschen (und mitunter das Schaf) im Hinterkopf zu haben, und trotzdem die demokratische Idee hochzuhalten?

Die deutsche Politologin, SPD-Politikerin und zweifache Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten, Gesine Schwan, findet, dass eine skeptische Grundhaltung in Bezug auf die Natur des Menschen und Demokratie nicht zusammengehen: Nur wer ein positives Menschenbild im Herzen trage, bringe nämlich den Mut auf, Entscheidungen zu delegieren, erkläre Schwan sinngemäß kürzlich im Ö1-Radio. Und die Delegation von Entscheidungsmacht an die direkt Betroffenen ist für sie das Kernelement einer zeitgemäßen politischen Kultur.

So gesehen wäre Österreich eine fast perfekte Demokratie. Hier schreiben sich die Sozialpartner die sie betreffenden Gesetze schließlich gleich selber - und die formale Regierung ist auch noch dankbar. Statt Österreich zu loben, hat sich Frau Schwan auf den Regierungsstil von Angela Merkel konzentriert, die dazu tendiert, heikle Debatten - von der Euro-Rettung über den Mindestlohn bis zur US-Spionage - tunlichst gar nicht erst aufkommen zu lassen. Und diesen Hang zur Monopolisierung wichtiger Entscheidungen führt Schwan auf das angeblich pessimistische Menschenbild Merkels zurück.

Die linke Wissenschafterin spielt damit auf ein altes Thema in der Geschichte des politischen Denkens an. Spätestens seit der Aufklärung fällt dabei dem Optimisten der Part des aufgeklärten Demokraten zu, während der Skeptiker Aug’ in Aug’ mit der revolutionären Masse zum Konservativen wird, der die Aufrechterhaltung der Ordnung nicht ausschließlich dem demokratischen Mehrheitswillen überantworten will.

Das kann man, muss man aber nicht in die etwas eindimensionalen Schubladen von Gut und Böse einsortieren. Dagegen spricht schon, dass unser politisches Institutionengefüge zum nicht geringen Teil auf dem Denken konservativer Skeptiker aufbaut, etwa auf den Ideen von der Gewaltentrennung und des liberalen Rechtsstaats. Mittlerweile ist ja sogar längst die althergebrachte Gleichsetzung ins Wanken geraten, die "links" mit mehr und "rechts" mit weniger direkten Mitbestimmungsmöglichkeiten assoziiert.

Vor gar nicht so vielen Jahrzehnten wurde die repräsentative Demokratie noch als Machterhaltungskonzept der herrschenden Klasse verunglimpft. Heute sind es vor allem rechte Populisten, die das gesunde Volksempfinden als Argument gegen die mittelbare Demokratie anführen. Die überzeugtesten Gegner eines weiteren Ausbaus der Mittel der direkten Demokratie finden sich - neben den konservativen Skeptikern alter Schule - heute unter Linken.

Dennoch trifft Schwan einen Punkt: Als überzeugter Misanthrop ist man außerhalb der Politik besser aufgehoben, denn ganz ohne Zuversicht in die menschliche Natur stößt die Idee von Demokratie an ihre logische Grenze. Andererseits: Ganz ohne Regierung, die ihren Job wörtlich nimmt, kommt auch die postmoderne Politik nicht aus. Zur Bestimmung von Moderatoren wären Wahlen dann doch vielleicht ein bisschen viel Aufwand.