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Demokratie-Kassandras

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Allenthalben liest und hört man von klugen Köpfen, dass keine Demokratie Einsparungen, wie sie derzeit etwa Griechenland, Spanien oder Irland durchleiden, über einen längeren Zeitraum aushalten könne. Die Bürger würden dann nämlich bei radikalen Kräften Zuflucht suchen und sich von der Demokratie abwenden. Die unseligen Dreißigerjahre lassen grüßen.

Grundlegender kann man den Bürgern nicht das Misstrauen aussprechen, als dass man Demokratie zur Schönwetterregierungsform degradiert. Abgesehen davon entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass so genau jene Parteien unter Artenschutz gestellt werden sollen, die ihre Länder geradewegs in den Abgrund regiert haben.

Sollte die europäische Demokratie tatsächlich auf so dünnem Sand gebaut sein, dann steht es um sie noch schlechter, als ohnehin überall zu lesen steht. Bemerkenswert ist aber auch die historische Perspektive all jener Kassandras, wenn diese bereits bei sozialstaatsabgefederten Turbulenzen Diktatur und Bürgerkrieg an die Wand malen. Schließlich kann man zwar durchaus hoffen, dass Sicherheit und Wohlstand auch künftig wachsen werden, wie sie es in den vergangenen Jahrzehnten in Westeuropa getan haben. Dessen sicher sein kann man jedoch nicht. Das wäre dann tatsächlich eine anthropologische Anomalie.

Richtig ist, dass Europa kaum positive Erfahrungen mit der demokratischen Bewältigung von Krisen zu machen imstande war. Von daher rührt der diesbezüglich grassierende Kulturpessimismus. Aber warum sollte eine ganze Gesellschaft, deren tragende Trends Bildungsexplosion, steigender Individualismus und sinkende Autoritätshörigkeit heißen, umstandslos bösen Anti-Demokraten in die Arme laufen?

Sehr wohl möglich ist dagegen, dass manchen der althergebrachten Parteien in dieser Krise nun die letzte Stunde geschlagen hat - zumindest in ihrer bisher bestehenden Form. Zweifellos eine Zäsur, in den meisten Fällen wohl eine angebrachte.

Dann ist es eben an den neuen Kräften zu versuchen, die Krise zu bewältigen. Demokratie ist ein Prozess, Regierungen kommen und gehen ebenso wie Parteien und Überzeugungen. Und mitunter lernen neue Kräfte die Spielregeln erst dann, wenn sie schon mitten drin sind. Und wenn nicht, werden sie eben wieder abgewählt.