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Demokratie statt Finanzprotektorat

Von Thomas Schmidinger

Gastkommentare

Ein Blick zurück in vergangene Jahrhunderte macht deutlich: Die europäische Protektoratsherrschaft über Griechenland wird zur Gefahr für die Demokratie.


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Staatsbankrotte gibt es, seit es den globalen Kapitalismus gibt - und dieser ist älter als das Schlagwort der Globalisierung vermuten lässt. Den betroffenen Staaten hat es allerdings schon im 19. Jahrhundert wenig geholfen, wenn diese unter Finanzkuratel gestellt wurden.

Das bekannteste historische Beispiel dafür ist wohl Ägypten, das unter Khedive Ismail Pasha in eine schwere Finanzkrise schlitterte. Im Jahr 1875 übernahmen die expandierenden Kolonialmächte Frankreich und England die Kontrolle der ägyptischen Staatsfinanzen. 1882 kam es gegen diese massive Einschränkung der ägyptischen Souveränität zu einem Aufstand unter der Führung des nationalistischen Offiziers und Politikers Ahmad Urabi. Großbritannien nahm dies zum Anlass, um Ägypten im September 1882 militärisch zu besetzen und unter britisches Protektorat zu stellen.

130 Jahre später wird nun Griechenland unter ein ähnliches Finanzprotektorat gestellt, Demonstrationen und Streiks dagegen werden unterdrückt. Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker erklärte überraschend offenherzig gegenüber dem deutschen Nachrichtenmagazin "Focus", im Zuge der internationalen Rettungsmaßnahmen werde "die Souveränität der Griechen massiv eingeschränkt".

Werden die reichen EU-Staaten zu den neuen Kolonialmächten der europäischen Peripherie, nicht nur in Griechenland, sondern demnächst vielleicht auch in Spanien, Portugal oder Irland?

Allerdings stellt das Problem der Griechen in einem zusammenwachsenden Europa weniger ein Problem der Souveränität der Nationalstaaten dar als ein Problem der Demokratie. Ein Zurück zu den Nationalstaaten des frühen 20. Jahrhunderts ist weder möglich noch wünschenswert.

Wenn das griechische Beispiel Schule machen sollte, würde dieses allerdings zur Gefahr für die Demokratie in ganz Europa. Am Ende einer solchen Entwicklung würde nämlich eine demokratisch in keinster Weise legitimierte Protektoratsherrschaft der reichen über die armen Europäer stehen, in der Banken und Finanzministerien die Macht in den Händen halten anstatt den Wählerinnen und Wählern verpflichtete und abwählbare Parlamente und Regierungen.

Es wäre deshalb höchst an der Zeit, eine demokratische Neugründung Europas durch seine Bevölkerungen zu erkämpfen. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Europa. Allerdings ein Europa, das sich als demokratischer, sozialer, föderalistischer und weltoffener Staat nicht von seinen Nachbarn in Nordafrika abschottet und nicht Teile seiner Bevölkerung ihrer demokratischer Rechte beraubt.

Dazu benötigt es ein echtes europäisches Parlament mit wirklichen europäischen Parteien sowie eine europäische Regierung, die tatsächlich diesem europäischen Parlament verpflichtet ist und nicht den verschiedenen nationalen Regierungen.

Thomas Schmidinger ist Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und derzeit Research Fellow an der University of Minnesota.