Zur Richterbestellung in Österreich.
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Als emeritierter Rechtsanwalt und politischer Beobachter wurde ich vom Verlag Österreich eingeladen, die Habilitation von Markus Vasek zu besprechen, welche das Räderwerk des Habilitationsverfahrens passiert und in der Folge zu seiner Ernennung zum Professor der Kepler Universität in Linz geführt hat. Dem Titel habe ich entnommen, dass in diesem Werk alle jene Problemkreise erörtert und dogmatisch gelöst werden sollen, die seit dem Inkrafttreten des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG) zu jahrzehntelangen akademischen, zum Teil aber auch zu politischen Auseinandersetzungen geführt haben.
Vasek verweist auf die Habilitationsschrift "Verfassung und Gerichtsbarkeit" von Robert Walter 1960, sein Ansatz ist aber nicht die Organisation der Gerichtsbarkeit per se, er hat vielmehr die Position und Stellung des Richters im Fokus. Dessen Unabhängigkeit, so Vasek weiter, korrespondiert mit der notwendigen erheblichen Rückbindung des Bestellungsverfahrens an die der Exekutive zuzählenden staatlichen Entscheidungsträger.
Der Verfasser stellt die Definition der beiden Begriffe aus dem Titel der Abhandlung an den Beginn, "Richter" und "Bestellung", und beschränkt seine Untersuchung auf die österreichische Rechtsordnung. Er führt aus, dass die rechtlichen Grundlagen der Richterbestellung in Österreich eine weite Entwicklung vom Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts bis heute gemacht haben. Als Habilitation prägen gewichtige Aussagen das Werk, der Autor geht rasch über die Begrifflichkeiten des Titels hinaus, beleuchtet das Verhältnis zwischen Demokratie und Gerichtsbarkeit, leitet die Bedeutung des Bestellungsverfahrens der Richter her und widmet sich umfassend Vorschlägen für Reformen.
Zu Dienstaufsicht und Disziplinarrecht
Eine der zentralen Thesen ist die Forderung, dass auch die - teilweise große Spielräume eröffnende - Anwendung demokratisch erzeugter Gesetze durch die Richter, also die Besorgung der ihnen durch Gesetz übertragenen Geschäfte nach Art 87 Abs. 2 B-VG, demokratisch legitimiert sein muss. So spürt Vasek einer Rückbindung der Gerichtsbarkeit an den Souverän anhand der Bestellung der Richter nach, dies durchaus eindrucksvoll.
Die Achillesferse der demokratischen Legitimation der Gerichtsbarkeit ist, so Vasek, die weitgehende Freistellung von parlamentarischer Verantwortung. Auch zur Dienstaufsicht und zum Disziplinarrecht stellt er zur Diskussion, inwieweit diese bei Beachtung der richterlichen Unabhängigkeit geeignete Instrumente sein können, eine Gesetzesbindung der Gerichte zu effektuieren. Und wenn ja, ob diese Form der Rechtskontrolle überhaupt demokratisch gesteuert werden kann. Sofern es um die richterliche Gesetzesauslegung und Entscheidung geht, sind überhaupt nur "Belehrungen und Ausstellungen" durch die Justizverwaltung zulässig.
Im Gegensatz zur Dienstaufsicht liegt die Durchführung des Disziplinarrechts fast vollständig bei der Gerichtsbarkeit. Lückenhaft ist der Weg zum Disziplinarverfahren, der ja nur vom Disziplinaranwalt im dienstlichen Interesse beschritten werden kann, dies dem sich durch pflichtwidriges richterliches Handeln beschwert erachteten Einzelnen aber verwehrt. Im Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz (RStDG) ist das nicht ausdrücklich geregelt, was sicher eine Gesetzeslücke darstellt. Die Richtervereinigung erstattete dazu den Vorschlag, dem Oberstaatsanwalt oder Generalprokurator ein Anklagerecht zu übertragen, wogegen laut Vasek aus rechtspolitischer Sicht nichts spricht. Dass die Richtervereinigung aber auch die Forderung erhoben hat, die Organe in dieser Funktion weisungsfrei zu stellen, hält er rechtspolitisch für bedenklich.
Seine vorangestellte Frage, inwieweit nicht das Dienstaufsichts-und das Disziplinarrecht unzulässige Eingriffe in die richterliche Unabhängigkeit darstellen, entkräftet er damit, dass sich tatsächlich durch einen Einleitungsbeschluss eine Lösung ergibt. Allerdings würde sich die bei einigen Verwaltungsgerichten vorgenommene Abkoppelung der Dienstaufsicht von der demokratischen Ingerenz als verfassungswidrig darstellen.
Eine Feinabstimmung würde durch das Rechtsmittelgericht erfolgen, wobei dem Organ der Dienstaufsicht noch immer die Belehrung über entgegenstehende Rechtsprechung verbleibt; die Disziplinargerichtsbarkeit würde dann nur bei gröberen Gesetzesverstößen eine Rolle spielen. Vasek appelliert, dass dabei eine Abstimmung zwischen Justizministerium und den -verwaltungsspitzen stattfinden sollte.
"Große" und "kleine" Lösung
Bezüglich der Auswahl und Bestellung von Richtern gibt es eine "große" und "kleine" Lösung. Die Richterschaft, unter anderen mit Johann Rzeszut und Gerhard Kuras, machte sich im eingesetzten Österreich-Konvent für einen Rat der Gerichtsbarkeit stark. Inwieweit dazu die Verfassung geändert werden müsste, legt Vasek eingehend dar. Er erinnert an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und hebt hervor, es sei entscheidend, dass ernannte Richter - auf welche Weise auch immer - ihr Amt frei von Beeinflussung und Druck ausüben können. Der EGMR betont ein bewegliches System, in dem es dem Gericht überlassen bleiben soll, die Unabhängigkeit - etwa einer Disziplinarkammer - durch die ordentliche Gerichtsbarkeit zu beurteilen.
Der Autor betont, dass sich das System der Richterbestellung in Österreich grundsätzlich bewährt hat. Jede Abweichung vom Besetzungsvorschlag sei eine genuin politische Entscheidung, die demokratisch hinzunehmen ist, allerdings von den entscheidenden Organen auch verantwortet werden muss. So muss nunmehr auch die Justizministerin, wenn sie von der Reihung des Personalsenates abweicht, dafür eine Begründung liefern.
Vasek positioniert sich in der Frage der Besetzung beim Obersten Gerichtshof (OGH) und den Verwaltungsgerichten insofern, dass die geltende Rechtsfrage rechtspolitisch zu hinterfragen wäre. Er hat ein interessantes Lösungsmodell, indem er für die Bestellung der jeweiligen Gerichtsspitzen ein zwischen den drei Höchstgerichten rotierendes Vorschlagsrecht andenkt.
Im Bestellungsverfahren für den Verfassungsgerichtshof (VfGH) wird als negative Ernennungsvoraussetzung für den Präsidenten oder Vizepräsidenten eine Abkühlphase von fünf Jahren normiert. Dazu appelliere ich an den Gesetzgeber, dass diese Anforderung auch für alle anderen Mitglieder des VfGH gelten und Vorbild für vergleichbare Spitzenpositionen in Institutionen sein sollte, in denen Politikferne ein hohes Gut ist.
Richtig spannend werden die Ausführungen des Autors zu den Bestellungsverfahren der Richter bei den diversen Gerichten, wobei ich mich auf den OGH beschränken möchte. Für die Planstellen dessen Präsidenten und Vizepräsidenten ist bisher kein Besetzungsvorschlag eines Personalsenats zu erstatten. Der Verfasser rezipiert die literarischen Höhepunkte in dieser Auseinandersetzung im Zusammenhang mit Art. 86 Abs. 1 B-VG und bezeichnet das dazu 1979 ergangene Erkenntnis des VfGH als "unbegreiflich", "fassungslos machend" und "denkunmöglich", für eine Habilitationsschrift wohl ungewöhnlich scharfe Formulierungen. In der Sache argumentiert er, dass die Begründung des VfGH mit der Grundannahme steht und fällt, die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des B-VG 1920 sei für den Gehalt des Art. 86 Abs. 1 maßgeblich. Er meint, der VfGH stelle darauf ab, dass der Gesetzgeber einen artikulierten Derogationswillen verlange, was schon ein restaurativer und verfehlter Interpretationsansatz sei. Er kommt zusammenfassend zum Schluss, dass der im § 32 Abs. 4 RStDG vorgesehene Ausschluss der Einholung von Besetzungsvorschlägen für die Spitzen des OGH gegen Art. 86 Abs. 1 zweiter Satzteil B-VG verstößt.
Ein rezenter Beweis, dass Versuche richterlicher Usurpation des Bestellungsverfahrens von Politikern nicht unbemerkt bleiben, zeigt deren Bestreben, sich ihren Einfluss auf die Justiz nicht nehmen zu lassen. Die Justiz versucht diesen durch Bindungen, insbesondere an Vorschläge richterlicher Fachgremien, einzuhegen. Grundsätzlich kritisiert Vasek die schwache Stellung des Parlaments im Bestellungsvorgang und einen kaum vorhandenen Rechtsschutz übergangener Bewerber für ein richterliches Amt.
VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter machte zuletzt mit der Forderung einen bemerkenswerten Vorschlag, dass ein Teil der VfGH-Mitglieder nicht von der Regierung bestellt wird, sondern vom Parlament, verbunden mit der Auflage einer Zweidrittelmehrheit im Parlament. Das wird und muss zu Verhandlungen der Parteien führen. Zuletzt hat Grabenwarter gefordert, dass alle VfGH-Mitglieder auf diese Weise bestellt werden.
Grundproblem wird nicht beseitigt
Die hervorragende Habilitationsschrift von Vasek schloss zwar im Jahre 2020, hat aber dennoch das Momentum für sich, weil der Diskurs bezüglich der Konstruktion des Amtes eines Generalstaatsanwaltes in die heiße Phase getreten ist. Dazu hat auch die Präsidentin des OGH einen Vorschlag unterbreitet, der die Notwendigkeit des demokratischen Legitimationszusammenhangs wahrt und sich im Übrigen an dem Modell des Ministerialentwurfs für die Bestellung der OGH-Spitze orientiert.
Ich denke, dass der aus der Justiz kommende Vorschlag für die Bestellung eines Generalstaatsanwaltes, nämlich auf Basis eines Vorschlags eines ausschließlich justiziellen Gremiums sachgerecht und angemessen ist. Demgegenüber vermag der von Regierungsseite geforderte Ansatz einer parlamentarischen Beteiligung bei der Bestellung und einer laufenden parlamentarischen Kontrolle anhängiger Ermittlungsverfahren das Grundproblem (zumindest) des Anscheins politischer Einflussnahme nicht zu beseitigen.
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