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Demokratie verlangt nach Offenheit - Was, wenn diese Schaden anrichtet?

Von Hermann Sileitsch

Analysen

Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker hat oft bewiesen, dass er sich kein Blatt vor den Mund nimmt. So hat der Luxemburger etwa das Zaudern der Deutschen in der Euro-Schuldenkrise mit harten Worten gerügt. Er war der Erste, der die EU-Hilfskredite für Portugal mit 80 Milliarden Euro bezifferte - lange bevor darüber verhandelt wurde.


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Umso mehr verblüfft das, was Juncker vor wenigen Tagen in einer Diskussion gesagt hat: Die politischen Weichenstellungen der Eurozone sollten nur "in dunklen geheimen Räumen" geschehen, um "gefährliche Bewegungen der Finanzmärkte" zu verhindern. Zudem räumte Juncker ein, dass er schon oft gezwungen war zu lügen, um die unkontrollierbare Verbreitung von Gerüchten zu verhindern. Eine Ungeheuerlichkeit: Ein hoher Politiker gibt freimütig zu, dass er die Öffentlichkeit täuscht.

Darin steckt viel demokratiepolitische Sprengkraft. Die EU-Bürger haben ohnehin den Eindruck, in Sachen Euro nur noch belogen zu werden. Griechenland, Irland, Portugal: Immer wurde bis zur letzten Minute dementiert, dass die Länder Hilfe benötigten. Dann war es doch der Fall. Deshalb werden jetzt die Beteuerungen, dass Griechenland ohne Schuldenschnitt auskommen wird, nicht ernst genommen.

Dieser Verlust an Glaubwürdigkeit dürfte wohl mitverantwortlich sein für die Abwahl der Regierungen in Irland und Portugal, die Erfolge der "Wahren Finnen" und die europaweiten Umfrage-Hochs von populistischen Anti-EU-Parteien.

Mit dem Lissabonner Vertrag hat die EU versprochen, sich gegenüber dem Bürger zu öffnen. So sind seit Ende 2009 die Ratssitzungen öffentlich. Die EU-Finanzminister-Treffen dauern nun freilich in aller Regel 20 Minuten. Davor lassen die Minister die Berichterstatter etliche Stunden warten, während sie hinter verschlossenen Türen beraten. Kurzum: Entscheidungen werden weiter im Hinterzimmer getroffen. Die Öffentlichkeit darf am Austausch belangloser Höflichkeiten teilhaben.

Die Politiker stecken freilich in einer Zwickmühle: Die Wähler verlangen transparente Entscheidungsprozesse - mit gutem, demokratischem Recht. Die Finanzmärkte stecken dieser Offenheit aber enge Grenzen: Die Euro-Verantwortlichen können schlecht vor die Kameras treten und salopp über eine Griechenland-Pleite räsonieren. Im selben Moment wäre der Schaden nämlich bereits eingetreten: Die Folgen könnten gewaltig sein - vom Run auf griechische Banken über eine Pleitewelle bis hin zu globalem Chaos wie nach Lehman.

Einen Vorwurf kann man der Politik aber keinesfalls ersparen: Bisher wurde die Öffentlichkeit nicht einmal hinterher über Zwänge und Notwendigkeiten diskreter Entscheidungen aufgeklärt. Junckers Geständnis ist vielleicht ein Anfang.