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Demokratie vs. Autokratie

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Ursula von der Leyen beschwört die EU als Wertegemeinschaft.


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Sie kam in den ukrainischen Nationalfarben Blau-Gelb und stellte gleich zu Beginn ihrer Rede im EU-Parlament in Straßburg die Erzähltemperatur ein: "Nie zuvor wurde in diesem Haus über die Lage unserer Union debattiert, während auf europäischem Boden Krieg herrscht." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beherrscht es, mit großen Worten über die

Megathemen der Gegenwart zu sprechen: "Dies ist nicht nur ein Krieg Russlands gegen die Ukraine. Dies ist ein Krieg gegen unsere Energieversorgung, ein Krieg gegen unsere Wirtschaft, ein Krieg gegen unsere Werte und ein Krieg gegen unsere Zukunft. Hier kämpft Autokratie gegen Demokratie."

In ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union 2022 ging es ums ganz Große, es ging um die Europäischen Union als Wertegemeinschaft. Wie sagte der frühere EU-Kommissionspräsident und Architekt der heutigen Europäischen Union Jacques Delors so schön: "Niemand verliebt sich in einen Binnenmarkt."

Doch um die großen Herausforderungen zu meistern, muss man die vielen - gar nicht so kleinen - Hindernisse aus dem Weg räumen und gar nicht so wenige Hausaufgaben bewältigen.

So muss der Kampf gegen die Autokratie in der Union selbst beginnen: Bisher ist es nicht gelungen, Viktor Orbán, einen erklärten Fan der illiberalen Demokratie, in die Schranken zu weisen; auch Polen bleibt ein Sorgenkind. Die meisten Länder, die nach den Osterweiterungsrunden der EU beigetreten sind, sind nach wie vor ziemlich weit vom Idealzustand reifer, entwickelter Demokratien entfernt.

Zugleich erhöht sich der Druck, die Union um weitere Länder am Westbalkan und um die Ukraine zu erweitern. Die EU wird mehr Energie, Kapital und Personal in den Aufbau funktionierender und effizienter Verwaltungsstrukturen und in die Stärkung der Zivilgesellschaft in diesen Staaten investieren müssen.

Doch die größte Prüfung der Union geht von Russlands Aggression gegen die Ukraine samt Energiekrieg gegen die EU aus. Von der Leyens Ankündigung, Übergewinne von Stromkonzernen zu besteuern und in den Energiemarkt einzugreifen, sind ein Versuch, Antworten auf die Energiekrise - die eine direkte Bedrohung für den Wirtschafts-standort Europa darstellt - zu geben. Daneben klang die Botschaft an, Europas Abhängigkeit von Energieimporten weiter zu verringern und den Ausbau der Erneuerbaren weiter voranzutreiben.

In der Politik gilt der Grundsatz: Die großen Würfe können nicht gelingen, wenn der Blick auf die Details fehlt. Europa - das ist für die meisten Bürgerinnen und Bürger das Versprechen von Wohlstand und Wohlfahrtsstaat.