Der Demokratieforscher Hanno Burmester über die neuen Gegner der freien Gesellschaft.
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Wien. Die Selbstgewissheit vergangener Jahrzehnte ist passé. Noch zum Ende des 20. Jahrhunderts wähnte sich, was einst der Westen war, als Meisterwerk der Geschichte: Die Idee der liberalen Demokratie und was dazu an gesellschaftlicher und ökonomischer Verfasstheit dazugehört, sah sich als Krönung der menschlichen Entwicklung.
Von dieser Zuversicht ist in der Gegenwart wenig geblieben. Besonders verunsichert, dass die liberale Demokratie aus ihrem Inneren heraus in Frage gestellt wird. Zu diesem Thema findet am 13. Juni um 19 Uhr eine Diskussion von Sora und "Wiener Zeitung" im Unteren Belvedere statt, bei der auch der deutsche Demokratieforscher Hanno Burmester zu Gast ist. Die "Wiener Zeitung" sprach mit ihm über die gefährdete Demokratie.
"Wiener Zeitung": Sie sehen die liberale Demokratie durch illiberale Kräften von innen heraus in Frage gestellt. Und zwar heute mehr denn je. Aber war es nicht immer schon so, dass auch die Kritiker und Gegner der Demokratie in den Parlamenten saßen?
Hanno Burmester: Das ist schon richtig, aber diese Gegner waren noch nie so weit vorgerückt, wie es aktuell gerade der Fall ist. Die Bedrohung kommt nicht länger von außen, sondern von innen, weil ein Teil der Gesellschaft frontal die Grundwerte angreift, auf denen unser Zusammenleben beruht. Da rede ich gar nicht von der Idee des Liberalismus, über diesen Begriff kann man tatsächlich trefflich streiten, sondern um so Grundlegendes wie Gleichheit und Meinungsfreiheit, und hier wird es dann elementar.
Auch die Dämonisierung des politischen Gegners gehört zum üblichen Arsenal der demokratischen Auseinandersetzung: Linke wurden von Rechten früher als verlängerter Arm Moskaus denunziert mit dem Ziel, die freie Gesellschaft durch den Kommunismus zu ersetzen. Erleben wir jetzt nur die Dämonisierung der Rechten oder doch etwas grundsätzlich Anderes?
Dass in der Hochphase des Kalten Krieges mit den gleichen rhetorischen Mitteln gegen politische Gegner gearbeitet wurde, da haben Sie sicher recht. Auch da ging es darum, unliebsame Kräfte in die Ecke zu stellen und ihren politischen Positionen die Legitimität zu entziehen, um sich erst gar nicht mit den Inhalten auseinandersetzen zu müssen. Ich glaube aber tatsächlich, dass es heute politische Akteure gibt, die sich explizit gegen die demokratischen Grundwerte richten. In diesen Zusammenhang muss man das "Ibiza-Video" stellen, wo FPÖ-Obmann Strache ausdrücklich von einer "Orbanisierung" der österreichischen Medienlandschaft gesprochen hat. Das sind klare Anzeichen für einen Systembruch nach Plan, der sich gegen die Medienfreiheit richtet. Ich sehe hier eine neue Qualität.
Strache ist als FPÖ-Chef und Vizekanzler unmittelbar nach Bekanntwerden des Videos zurückgetreten, die Partei hat sich distanziert und in der Folge platzte auch die türkis-blaue Koalition. Man könnte also auch sagen, die demokratischen Schutzmechanismen funktionieren.
Man kann das so lesen, tatsächlich haben einige demokratische Grundreflexe gegriffen. Andererseits hat die FPÖ bei der EU-Wahl mit mehr als 17 Prozent nur relativ geringe Verluste erlitten. Dass die Wähler der FPÖ kaum eine Reaktion auf dieses Video zeigten, darin steckt für mich schon auch eine Aussage im Hinblick auf eine ideologische Werthaltung drinnen.
Dabei ist die Sehnsucht nach einem Zugriff auf Medien nichts, was nur die FPÖ kennzeichnet. Auch andere Parteien versuchen, teils mit harten Bandagen, Vertrauensleute in Medien unterzubringen, die im öffentlichen Einflussbereich stehen. Und das ist auch keine österreichische Besonderheit.
Natürlich versuchen alle Parteien, eine gewisse Meinungshoheit zu erlangen; und ja, das geschieht auch über Personalpolitik insbesondere im öffentlich-rechtlichen Bereich. Trotzdem zeugt das Ibiza-Video von einer neuen Qualität; hier geht es um Massenentlassungen von unbotmäßigen Redakteuren und deren Nachbesetzung durch Gefolgsleute. Das ist etwas anderes als das, was wir bisher erlebt haben; hier geht es darum, einen Systembruch in ganz kurzer Zeit herbeizuführen.
Sehen Sie Staaten wie Österreich und Deutschland tatsächlich gefährdet, einen Weg einzuschlagen wie Ungarn und Polen?
Nein, derzeit sehe ich diese Gefahr nicht. Das ist in diesen Staaten nicht mehrheitsfähig. Was es gibt, sind konkrete politische Akteure, die dieses Ziel anstreben. Und ich halte unsere Gesellschaften für ausreichend verwundbar, dass etwa im Fall einer großen Rezession eine solche Entwicklung beginnen könnte. Die Demokratie ist nicht unverwundbar.
Ist Demokratie tatsächlich nur eine Schönwetter-Angelegenheit und wenn die Zeiten härter werden, sind wir bereit, unsere Freiheiten wieder aufzugeben?
Aktuell sehe ich die Demokratie sehr wohl zu großen Teilen als Schönwetter-Angelegenheit. Sie ist weder krisenfest noch unumkehrbar. Daher sagen manche Teile der Politikwissenschaft auch, dass demokratische Stabilität zwingend wirtschaftliche Stabilität benötigt. Aus meiner Sicht ist diese Verbindung kein Naturgesetz, Wohlstand und Demokratie lassen sich entkoppeln. Aber aktuell beruht die Stabilität der westlichen Demokratien zu einem großen Teil auf dem Wohlstand der einzelnen Haushalte. Das macht uns verwundbar und anfällig. Eine weitere Finanzkrise könnte die politische Situation beispielsweise radikal verändern.
Betrifft diese Verwundbarkeit das System oder die demokratische Gesinnung der Bürger? Es gibt unter kritischen Geistern einen verbreiteten Misstrauensvorbehalt gegenüber den Menschen, die Sorge vor dem nur schlummernden Faschismus in vielen Köpfen. Ist dieser Misstrauensvorbehalt berechtigt?
Unsere Gesellschaften sind im historischen Vergleich sehr demokratisch, was nichts daran ändert, dass es kulturell ganz lange Schatten gibt, die aus unserer totalitären Vergangenheit stammen und noch immer Teil unserer DNA sind. Geschichte lässt sich nicht einfach reaktivieren, aber wir haben es heute dennoch mit bestimmten Mustern zu tun, die der totalitären Vergangenheit entspringen. Trotzdem gilt für mich: Demokratie ruht auf dem Vertrauen, dass die Menschen Entscheidungen nicht nur im eigenen Interesse, sondern auch im Hinblick auf das Gemeinwohl treffen können. Wenn dieses Vertrauen fehlt - sei es bei Vertretern des Staates, bei Parteien, Politikern oder auch Medienmachern -, dann halte ich es für angebracht, dass diese Menschen zunächst ihr eigenes Verständnis von Demokratie hinterfragen anstatt das Demokratieverständnis der Bürger. Demokratie funktioniert nicht ohne diesen Vertrauensvorschuss.