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Den Vergleich mit den Sauriern des Naturhistorischen Museums mußte sich der österreichische Parlamentarismus zu Beginn der politischen Herbstarbeit gefallen lassen. Öffentlichkeitswirksam
präsentierten junge Nationalratsabgeordnete aus vier Parteien, Sonja Ablinger und Brigitte Tegischer von der SPÖ, ÖVP-Jugendsprecher Werner Amon, die grüne Abg. Monika Langthaler sowie Martina
Gredler und Thomas Barmüller vom LIF, vor den Skeletten der Dinosaurier Reformvorschläge für die parlamentarische Arbeit.
"Frisches Fleisch auf alte Knochen"
Unter diesem Motto stand die gemeinsame Pressekonferenz in der von den Politikern ein selbstbewußteres und arbeitsfähigeres Parlament eingefordert wurde. Das Knochengerüst des österreichischen
Parlamentarismus, die demokratischen Grundwerte seien ja in Ordnung, doch der Bewegungsapparat müsse erneuert und verbessert werden. Die Arbeitsmethoden im Hohen Haus würden nicht mehr einer modernen
und immer flexibleren Arbeitswelt gerecht und auch nicht mit den Möglichkeiten und Ressourcen, die die Exekutive besitzt, Schritt halten können. "Als noch junge Abgeordnete sind wir von der
Notwendigkeit eines starken, arbeitsfähigen Parlamentes als zentralem Element einer funktionierenden Demokratie überzeugt," heißt es im Positionspapier, und insofern sieht die Gruppe ihre Forderungen
auch als "Aktion gegen die hohe Politik- und Politikerverdrossenheit" an.
Ohne FPÖ
Nicht dabei ist die FPÖ oder auch nur ein Vertreter der Freiheitlichen. Das habe vor allem damit zu tun, sagen die sechs Abgeordneten, daß sie, im Gegensatz zur FPÖ, das Gerippe nicht in Frage
stellten. Und letztlich sei das Verhalten der FPÖ im Parlament vor der Sommerpause der Auslöser für die Initiative gewesen: Denn da habe man sich in den Couloirs des Nationalrates zusammengefunden
und beschlossen, gemeinsam ein Zeichen für mehr politisches Engagement zu setzen. Natürlich seien auch Vertreter der FPÖ, ebenso wie alle anderen Mitarbeiter des Hauses zur Mitarbeit eingeladen, doch
auch nach langem Überlegen sei ihnen aus dem Lager der Freiheitlichen niemand eingefallen, der die gemeinsamen Ziele mittragen könnte · so der liberale Abgeordnete Barmüller.
Drei wesentliche Ziele
Die Liste der Zielvorstellungen, die nur ein Denkanstoß sein soll und keineswegs einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, umfaßt im wesentlichen drei Bereiche:
Õ Die Kompetenzen der Legislative stärken. Durch die Schaffung eines legislativen und volkswirtschaftlichen Dienstes im Parlament, ähnlich etwa dem Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt, sollen die
Möglichkeiten der einzelnen Abgeordneten deutlich verbessert werden. Außerdem wird ein deutlich höherer Frauenanteil im Parlament und dort auch in wichtigen Positionen gefordert und schließlich
denken die jungen Abgeordneten an ihresgleichen und fordern auch einen höheren Jugendanteil · der unmittelbare Zusammenhang mit der Kompetenzfrage ist allerdings nur hintergründig erkennbar.
Õ Ein arbeitsfähigeres Parlament soll geschaffen werden, vor allem durch den verstärkten Einsatz der neuen Kommunikationstechnologien, im speziellen des Internet. Das würde nicht nur effizienteres
Arbeiten ermöglichen, sondern auch Kosten sparen. So könnten etwa Begutachtungsverfahren von Gesetzen über das Internet abgewickelt werden, womit die breite Einbindung der Bevölkerung gewährleistet
wäre.
Õ Und schließlich ergeht die Forderung nach mehr Bürgernähe. Das könnte, meinen die Abgeordneten, bereits durch öffentliche Ausschußsitzungen zu erreichen sein. Darüber hinaus könnten die Ausschüsse
ihre Tätigkeit vermehrt vor Ort vornehmen · für Recherchen und auch für Tagungen. Außerdem müsse der Petitionsausschuß, der bisher Materien nur an andere Ausschüsse weiterleiten kann, aufgewertet
werden. Durch mehr Rechte und eine verstärkte Partizipation von Initiatoren der Bürgerinitiativen.
Reformdiskussion
Auf Basis dieser Vorschläge möchten die sechs Abgeordneten einen umfassenden Diskussionsprozeß im Parlament in Gang setzen. Vorerst wurden sie Nationalratspräsident Fischer übermittelt, mit dem
Ersuchen um ein Gespräch mit der Präsidialkonferenz des Nationalrats. Diese soll nach den Vorstellungen der Gruppe ein Gremium einrichten, das mit der Zusammenstellung aller bisher im Parlament
eingebrachten Forderungen zur Verbesserung der parlamentarischen Abläufe beauftragt wird.
In einem entsprechenden Bericht sollen auch Vergleiche mit anderen Parlamenten, insbesondere dem Europäischen Parlament einfließen. Die Befassung der Präsidiale sollte gewährleisten, daß diesem
Gremium entsprechende Mittel und Personal zur Verfügung stünden.
Nationalratspräsident Fischer begrüßte diese Initiative, wies darauf hin, daß manche Forderungen in Vorbereitung oder bereits erfüllt seien, eine konkrete Antwort auf das Schreiben der Gruppe gibt es
aber noch nicht.
Demokratiepaket
Nur wenige Tage später wurde im Nationalrat das sogenannte Demokratiepaket beschlossen · mit der Initiative der Jungabgeordneten hatte dies freilich nichts zu tun, auch wenn eine gewisse
Verwandtschaft der Bezeichnungen festzustellen ist.
Das von der Regierung als "Demokratiepaket" bezeichnete Gesetzespaket war vielmehr aus den Erfahrungen der letzten Bundespräsidentenwahlen entstanden und setzte mit seiner zentralen Bestimmung einem
Privileg von Abgeordneten ein Ende: Bisher zählte die Unterstützungserklärung eines Mandatars bei der Einreichung eines Wahlvorschlags 25.000 Stimmen, künftig sind Abgeordnete Normalbürgern
gleichgestellt. Damit wird bei den nächsten Bundespräsidentenwahlen jeder Kandidat die notwendigen 6.000 Unterstützungserklärungen sammeln müssen.
Unmut im Wahlkampf
Denn im Wahlkampf hatte vor allem ein Umstand für böses Blut gesorgt: Daß die beiden Kandidatinnen Gertraud Knoll und Heide Schmidt auf das Sammeln von Stimmen verzichtet hatten und ihre
Kandidaturen mit Hilfe von Unterstützungserklärungen von Abgeordneten einreichten · und dies umso mehr, als die liberale Parteichefin Heide Schmidt gleich zwei Mal unterschrieb, für sich und auch für
ihre Mitbewerberin Gertraud Knoll.
Da die Reihung auf den Stimmzetteln nach der Zahl der abgegebenen Unterstützungserklärungen erfolgte, wurde der amtierende Bundespräsident Klestil · obwohl über 200 Personenkomitees für ihn fast
50.000 Stimmen gesammelt hatten · erst an dritter Stelle gereiht. Die vierzehn Abgeordneten die Gertraud Knoll unterstützten, entsprachen hingegen 350.000 Unterschriften und brachten den ersten Platz
auf der Liste.
Beschlossene Sache
Und so hatte sich die Koalition schon vor dem Sommer darauf geeinigt das Bundespräsidentenwahlgesetz gemeinsam mit einigen anderen Gesetzen zu novellieren. Daß dieses "Demokratiepaket" aber gleich
zu Beginn der parlamentarischen Herbstarbeit den Nationalrat passieren sollte, erhitzte die Gemüter im Hohen Haus. Vor allem Liberale und Grüne hätten die Gelegenheit gerne genützt, eine grundlegende
Diskussion über Demokratiedefizite in Gang zu setzen. Doch im Ausschuß, warfen sie den Regierungsparteien vor, sei dies nicht möglich gewesen.
So forderte die Vorsitzende des Liberalen Forums, Heide Schmidt, eingangs der Tagesordnung eine Rückverweisung der Materie in einen Unterausschuß.
Hitzige Debatte
Was folgte, war eine hitzige Geschäftsordnungsdebatte, in deren Mittelpunkt die Änderung der Unterschriftenregelung und die Person Heide Schmidt selbst stand. Nach ihrer Wortmeldung, in der sie
die Einsetzung eines Unterausschusses und die Diskussion der von der Opposition eingebrachten Änderungsvorschläge forderte, warf ÖVP-Klubobmann Khol Schmidt vor, nur deswegen das Gesetzespaket
abzulehnen, weil damit die Privilegierung der Abgeordnetenunterschriften beseitigt würde. Schließlich sei sie selbst Nutznießerin dieser Bevorzugung gewesen.
SPÖ-Klubobmann Kostelka verwies darauf, daß die Einsetzung eines Unterausschusses vorgeschlagen, aber von zwei Oppositionsparteien abgelehnt wurde, der grüne Abgeordnete Wabl stellte sich auf die
Seite Schmidts und die FPÖ schloß sich in dieser Frage den Koalitionsparteien an. Schmidt habe schon im Ausschuß "langweilige Monologe" gehalten, und im übrigen sei es unsinnig für dieses
"Demokratiepackerl in der Größe einer Schnupftabakdose" einen Unterausschuß zu fordern, meinte der geschäftsführende FPÖ-Klubchef Stadler in seiner Wortmeldung.
Ablehnung
Und so wurde der Antrag des Liberalen Forums auf Absetzung der Materie von der Tagesordnung abgelehnt und das "Demokratiepaket" nach einer merklich ruhigeren Debatte in den Abendstunden
beschlossen. Bei der Änderung des Bundespräsidentenwahlrechts fand die Koalition auch die Zustimmung der FPÖ, den Rest des Pakets mußte sie alleine beschließen. Da ging es vor allem um weitere
Änderungen bei der Einleitung von Volksbegehren:
Künftig werden nur mehr rund 8.100 Unterstützungserklärungen, das entspricht einem Promille der Bevölkerung, und nicht mehr 10.000 notwendig sein.
Außerdem können Betreiber von erfolgreichen Volksbegehren, das sind solche mit mehr als 100.000 Unterschriften, die auch im Parlament behandelt werden müssen, mit einer Kostenrückerstattung in Höhe
von 100.000 bis 150.000 Schilling rechnen. Für solche Volksbegehren soll es künftig auch mehr Transparenz durch Teilnahme der Betreiber an den Ausschußsitzungen und kürzere Beratungsfristen geben. Zu
Beginn der Beratungen ist künftig eine öffentliche Debatte vorgesehen. Und letztlich wurden auch noch Erleichterungen für Behinderte in Wahllokalen beschlossen.
Mehr Demokratie
Das war den Liberalen und Grünen allerdings zu wenig. Die grundsätzliche Auseinandersetzung mit demokratiepolitischen Fragen sei die Regierung schuldig geblieben, war die generelle Kritik; auch
wenn diese Gesetzesänderungen "Demokratiepaket" genannt würden, würde dadurch die österreichische Demokratie nicht wirklich verbessert. Und auch die FPÖ schloß sich im wesentlichen dieser Kritik an.
Ein Antrag der Freiheitlichen, Volksbegehren über 500.000 Unterschriften zwingend einer Volksabstimmung zu unterziehen wurde im übrigen, ebenso wie einige Anträge der anderen Oppositionsparteien,
abgelehnt. Und so liegt die oppositionelle Forderung nach einer grundlegenden demokratiepolitischen Diskussion weiterhin auf dem Tisch · ebenso wie die Forderungen der jungen Abgeordneten die dem
Parlament etwas "Frisches Fleisch auf alte Knochen" empfehlen. Wobei auffiel, daß von diesen sechs Abgeordneten kein einziger zum Tagesordnungspunkt "Demokratiepaket" ans Rednerpult trat.Õ
Michael Klonfar ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion
OKTOBER 1998