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Demokratische Transformation

Von Ilse Kleinschuster

Gastkommentare

Liberale Demokratie inkludiert Selbstbestimmung und die Kraft "schöpferischer Minderheiten".


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"Mehr Partizipation ist wünschenswert und möglich: kommunal, in Kleingruppen und Organisationen", schrieb jüngst Hans Högl in seinem Artikel "Ideale und Reale Demokratie" (20./21. November). Was erwarten wir uns von der Forderung nach mehr Partizipation, mehr Selbstbestimmung, mehr Bürgerbeteiligung, mehr Demokratie?

Seit Jahren frage ich mich als aktives Mitglied in einer öko-sozialen Reformbewegung: Können wir vor allem erwarten, dass mehr Partizipation mehr Wandel im Sinne der "Agenda 2030" und der "Globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung" schafft? Kann es sein, dass eine sozial-ökologische Transformation in unseren westlichen Gesellschaften bereits begonnen hat und die Werte, Einstellungen und Selbstbilder der Bürgerinnen und Bürger mit den Jahrzehnten - seit den neuen sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er - immer postmaterialistischer, liberaler, und demokratischer geworden sind?

Hat die Gesellschaft heute die Postulate von Umweltpolitik und Nachhaltigkeit schon genügend stark als eine sozialdemokratische Politik verinnerlicht? Ist meine Erwartung richtig, dass viele Menschen heutzutage einem an sozial-ökologischer Nachhaltigkeit orientiertem Gesellschaftswandel offener gegenüberstehen und zeitgleich sowohl die Zivilgesellschaft als auch die politische Kultur Stück für Stück demokratischer und nachhaltiger geworden sind? Gibt es echte Anzeichen, die einen Wandel zur großen Transformation durch mehr Partizipation plausibel machen?

Die jüngsten Wahlerfolge der verschiedenen grünen Parteien und die starke Mobilisierung der "Fridays for Future"-Demonstrationen scheinen dafür zu sprechen. Welche Rolle spielen dabei die Bevölkerung und ihre Akzeptanz demokratischer Werte? Wie viel Prozent der Bevölkerung meinen, es herrsche eine starke Beziehung zwischen Demokratisierung und dem Ziel einer sozial-ökologischen Transformation? Wohnt dem Postulat gesellschaftlicher wie umweltzentrierter Nachhaltigkeitskonzepte wirklich die Forderung nach einer umfassenden Demokratisierung zum Wohlergehen möglichst vieler inne? Kann ich als "kleine Bürgerin" annehmen, dass, wer sozial-ökologische Transformation sagt, auch wirklich Demokratisierung im Sinne von sozialer Demokratisierung meint?

Eine nachhaltige Gesellschaft

Eine nachhaltige Gesellschaft wird gerne als eine demokratischere und stärker an der Einbindung der Bürgerinnen und Bürger orientierte Gesellschaft beschrieben, auch als eine, in der Ökonomie, Lobbys oder die politische Machtlogik weniger dominant sind. Darüber hinaus: Wird nicht jedem Transformationsnarrativ unterlegt, dass Demokratisierung nicht nur Ergebnis, sondern auch Mittel und Instrument hin zu einem Gesellschaftswandel ist? Demokratie und Demokratisierung sind - oder könnten es sein - sowohl Folge und Teilziel einer Transformation als auch Hilfsmittel, um diese zu erreichen. Fast alle Transformationsnarrative greifen diese Doppelperspektive auf. Das hieße also, dass Demokratisierung durch stärkere Bürgerbeteiligung kapitalistische Logiken aufbräche und Räume für freies und solidarisches Experimentieren ermöglichte, um einen Gesellschaftswandel zur Nachhaltigkeit zu verwirklichen.

Dabei ist das Spektrum groß: Während manche Erzählungen eines sukzessiven und auf den derzeitigen Institutionen basierenden Wandels eher ein Mehr an demokratischer Einbindung und Bürgerpartizipation fordern, verstehen radikalere und postmarxistische Transformationsperspektiven unter Demokratisierung eine Infragestellung der ökonomischen und sozialen Machtarchitekturen insgesamt. Wieder andere stellen die Selbsterfahrung und Graswurzelarbeit von unten ins Zentrum. Letztere umfasst auch eine radikale Kritik an bestehenden demokratischen Institutionen und deren Herausforderung durch soziale Bewegungen (wie Extinction Rebellion).

All diese Initiativen, sozialen Bewegungen, Protestgruppen und Graswurzelaktivistinnen und -aktivisten machen deutlich, dass nachhaltige Demokratieformen nicht nur Werkzeug und Fernziel, sondern bereits gelebte Praxis sind. Sie sollten aber, bitteschön, auch als Ausdruck eines weit verbreiteten Unbehagens gegenüber einer allumfassenden, zerstörerischen kapitalistischen Logik gesehen werden. Für einen sozial-ökologischen gesellschaftlichen Wandel - so erlaube ich mir zumindest zu hoffen -, übernimmt dann Demokratisierung die verschiedenen Funktionen von Ziel, Krisenlösung und Diagnose.

Transformation im Kleinen

Aufgrund meiner jahrelangen freiwilligen Mitarbeit in öko-sozialen, dem Frieden zugeneigten initiativen Gruppen beziehungsweise Organisationen habe ich diese Erwartung bis jetzt mit vielen Menschen gemeinsam teilen können: Transformation findet bereits im Kleinen statt, weil aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger demokratischen Werten immer größeren Platz einräumen. Ob dies jedoch auch gleich Voraussetzung für eine Transformation im Großen ist, für eine Veränderung, der eine zukünftig noch stärkere Orientierung an ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit folgen wird, wage ich kaum zu hoffen. Die Corona-Pandemie und fortschreitend starke Kritik an politischen Maßnahmen könnten meine Hoffnung auf das Wachstum liberaler Demokratie noch weiter untergraben.

Und dennoch: Ich glaube an die Macht einer "komponierenden Ethik" (Zitat Herwig Büchele) - darin ergänzen sich praxisverändernde Bildung und eine das Bewusstsein verändernde Praxis, sodass aus einer sozialen Bewusstseinswandlung eine qualitativ neue gesellschaftliche Wirklichkeit und aus der Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit ein qualitativ neues Bewusstsein entsteht. Ich glaube an die "schöpferische Minderheit" aus dem Kreis der initiativen Zivilgesellschaft, die immer stärker zum Vorbild werden kann.