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Demokratischer Elitismus

Von Isolde Charim

Gastkommentare

Österreich sucht seine Talente.


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Kürzlich fand wieder der Wettbewerb "Talent Österreich" statt. Das ist keine weitere Casting-Show - oder zumindest keine im landläufigen Sinn. Es ist dies vielmehr Teil des "High Potentials Programms" der Universität Wien, ein Talente-Förderprogramm subventioniert von der Wirtschaftskammer Österreich und der Raiffeisenbank. Diese Art der Talentsuche ist zwar viel unauffälliger als die Suche nach dem "Superstar", verfolgt aber im Bereich von Wissenschaft und Forschung ein ähnliches Prinzip.

Im 19. Jahrhundert war die Idee des "verborgenen Genies" verbreitet, das es in den Tiefen der Gesellschaft aufzuspüren galt. Eine Idee, die sich von erstaunlicher Aktualität erweist. Die Idee besagt, der Gesellschaft dürfe kein Talent entgehen. Die Talente müssen gesucht und entdeckt werden. Dazu gibt es hierzulande ein ganzes System: Scouts, Tests, Talente Checks, Begabungskompasse. In Niederösterreich etwa gibt es Tests für Kinder in der dritten Schulstufe, um etwaige verborgene Begabungen aufzuspüren. Ja, das Programm wird mittlerweile sogar auf Kindergärten ausgedehnt. Und wird eines gefunden, dann wird es gefördert. Denn es ist ein hohes Gut, eine Ressource für die ganze Gesellschaft. Da sind alle einverstanden.

Die Idee besagt auch, Genies seien nur deshalb in den Tiefen der Gesellschaft zu suchen, weil sie sich überall verbergen können. Und ist das nicht demokratisch? Liegt dem nicht eine wunderbare Vorstellung von Gleichheit zugrunde?

Nun - höchstens jene Vorstellung von Gleichheit, die man der Wirtschaftskammer unterstellen würde. Da geht es nicht um gleiche Bildung für alle. Da geht es um die Vorstellung der Gesellschaft als eines Pools, in dem man nach der Ressource "Talent" fischen kann. Wobei der fortschrittlichere Flügel den Pool eher als Gesellschaft definiert, während der konservativere Teil den Pool auf die Nation beschränkt - migrantische Talente also ausspart. Zudem muss das wohl definierte Talent in den Vorstellungshorizont passen - das heißt, es muss nutzbar sein. Aber viel grundlegender als das allzu Offensichtliche ist, dass es sich dabei um eine Elitenrekrutierung handelt. Genauer gesagt - es ist der Versuch, Elitenrekrutierung auf eine breite Basis zu stellen: nicht mehr die Herkunft ist für die Elitenreproduktion entscheidend (oder jedenfalls nicht mehr ausschließlich), sondern die Natur. Denn das sogenannte Talent ist einem gegeben - oder eben nicht.

Das ist der springende Punkt dabei. Denn die Vorstellung, wir sind alle gleich, diese Vorstellung ist die Grundlage der Demokratie. Gleichzeitig steht dem eine reale, ganz konkrete Ungleichheit gegenüber. Ein Widerspruch, für den die Figur des "Talents", der außerordentlichen, herausragenden Begabung eine wunderbare Linderung bedeutet. Denn die Ungleichheit ist hier naturgegeben. Im Talent legitimiert sich die ungleiche Förderung. Denn Begabung muss gesondert gefördert werden. Das sieht jeder ein.

Der Ausnahme werden die Zugänge eröffnet. Das Talent hat die Möglichkeit, aufzusteigen. Nicht der Normalbürger ist mehr der Maßstab für die Gleichheit, sondern die Ausnahme. Gleichheit heißt dann eben nur noch, dass Talent überall möglich ist. Diese Definition hat einen Namen - demokratischer Elitismus.