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Heute finden in Aserbaidschan Präsidentschaftswahlen statt - unter in vielerlei Hinsicht fragwürdigen Umständen. Nicht nur Europa blickt mit großem Interesse auf diesen Urnengang im Kaukasus. Der amtierende Präsident, der 80-jährige Haydar | Alijew, ist seit einigen Monaten nicht mehr im Land. Er war am 8. Juli vor laufender Fernsehkamera zusammengebrochen und liegt seither mit schweren Herz- und Nierenproblemen in einem Krankenhaus in Cleveland. Über seinen tatsächlichen Gesundheitszustand gibt es nur Gerüchte. Am 3. Oktober hat Alijew seine erneute Kandidatur für das Präsidentenamt zurückgezogen, nicht ohne familiäre Vorsorge für seine politische Nachfolge.
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Schon im letzten Jahr ließ er seinen Sohn Ilham zum Premierminister wählen und setzte eine Verfassungsänderung durch, wonach im Falle einer Amtsunfähigkeit des Präsidenten der Premierminister dessen Amtsgeschäfte übernimmt. Jetzt kandidiert Ilhalm Alijew bei den anstehenden Wahlen und er ist ganz davon überzeugt, dass er sie gewinnen wird. Sollte die "dynastische Erbfolge" durch den Präsidentensohn tatsächlich glücken, würde dies für das Land einen entscheidenden Rückschlag auf dem Weg zu einem demokratischeren Staatswesen bedeuten.
Haydar Alijew, der zu Sowjetzeiten führende Staatsämter in Moskau innegehabt hatte, kam 1993 unter den Vorzeichen Anarchie im Lande an die Macht. Der Sprung in die nationale Unabhängigkeit von der Sowjetunion war von einem blutigen Krieg um die mehrheitlich armenisch besiedelte Provinz Nagorni Karabach begleitet, in dem 30.000 Menschen ihr Leben verloren und der junge Staat 20 Prozent seines Territoriums verlor. 1994 schloss Alijew mit Armenien einen Waffenstillstand und brachte die renitente Armee unter Kontrolle. Damit kehrte im Land eine stabilere Phase ein, die Alijew eine gewisse Popularität verschaffte und viele Menschen über seinen Herrschaftsstil hinweg sehen ließ. An der katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Lage für breite Bevölkerungsschichten hat sich unter seiner Regierung allerdings nichts geändert.
90 Prozent des Exports sind Erdöl und Ölprodukte
Die Volkswirtschaft wird von den reichen Erdölvorkommen im Kaspischen Meer bestimmt. Knapp 90 Prozent des aserbaidschanischen Exports bestehen aus Öl oder Ölprodukten, der Staat lukriert daraus über seine Erölgesellschaft Lukoil bereits mehr als 50 Prozent seiner Einnahmen. Vom Ölgeschäft profitierten hauptsächlich die internationalen Erdölkonzerne und eine kleine Elite im Land selbst. An die 60 Prozent der Bevölkerung lebt nach Angaben der Weltbank trotz ständig wachsenden Ölexports weiterhin in Armut.
Korruption behindert wirtschaftliche Entwicklung
Als eines der größten Hindernisse für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wird nach übereinstimmenden Berichten von Diplomaten und Geschäftsleuten die überbordende Korruption angesehen. Die Korruption bilde gewissermaßen ein grundlegendes Element des Herrschaftssystems Alijews. Ein Großteil der Staatsstellen ist nur gegen Bezahlung zu bekommen, in Ämtern, Spitälern und Schulen geht ohne Bestechung gar nichts. Seine Untergebenen dürften sich bereichern, solange sie loyal sind; damit hat er sie in der Hand und kann sie kontrollieren. Und die Schlüsselstellen im Staate sind ohnehin auf die Mitglieder der Familie Alijews verteilt.
Die politische Stabilität wird durch massive Beschränkungen der Demokratie aufrecht erhalten. Das Parlament, in dem Abgeordneten der "Neuen Aserbaidschanischen Partei" ("Eni Aserbaidschan") Alijews die absolute Mehrheit stellen, ist dem Präsidenten naturgemäß loyal ergeben. Doch die demokratische Legitimation dieses Parlaments ist massiv in Frage gestellt, denn bei sämtlichen Wahlen der letzten Jahren wiesen internationale Beobachter schwer wiegende Irregularitäten nach.
Auch in der laufenden Wahlbewegung wurden, wie aus einem Bericht von Human Rights Watch vom 24. September hervorgeht, Oppositionspolitiker wiederholt schikaniert und TeilnehmerInnen an oppositionellen politischen Veranstaltungen mit Schlagstöcken auseinander getrieben. Beispielsweise wurden am 21. September bei Zusammenstößen mit der Polizei Hunderte Personen verletzt, die an Kundgebungen für die oppositionelle Musavat Party teilnahmen.
Regierung kontrolliert Radio und Fernsehen
Die Regierung kontrolliert über weite Bereiche die öffentliche Meinungsbildung durch Radio und Fernsehen. Wohl gibt es eine Reihe regierungskritischer Zeitungen im Land, die aber unter prekärsten Umständen arbeiten müssen. Immer wieder werden Redaktionen unter der Anschuldigung, Ehre und Würde von Regierungsbeamten verletzt zu haben, geklagt und zu hohen Geldstrafen verurteilt. Gelegentlich werden kritische Medien mittels fragwürdiger Steuerhinterziehungsverfahren in die Knie gezwungen. So wurde eine der einflussreichsten Oppositionszeitungen, "Yeni Musavat", in den letzten Monaten 14 geklagt musste erhebliche Strafgelder zahlen, man spricht von 100.000 US-Dollar.
Gemeinsamer Kandidat der Opposition
Die Hoffnung der politischen Opposition bei den bevorstehenden Präsidentwahlen richtet sich auf eine Verhinderung massiven Wahlbetrugs, wie er in der Vergangenheit zweifellos geschehen ist. Der Skepsis internationaler Medien hält man entgegen, dass es diesmal immerhin gelungen sei, dass sich die zwei wichtigsten oppositionellen Parteien des Landes, die Volksfront Partei (Azerbaijan Xalq Cabhasi, APFP) und die Nationale Unabhängigkeitspartei (Azerbaijan Milli Istiglal Partiyasi, AMIP), auf einen gemeinsamen Kandidaten, nämlich Etibar Mammadov, verständigt haben. Beide Parteien versprechen für die Zukunft konstitutionelle Reformen, welche die Macht des Präsidenten beschränken und Unabhängigkeit der Judikative garantieren. Von außen kann die Opposition wenig Unterstützung erwarten. Vor allem die 32 Ölkonzerne aus 15 Ländern, die im Land ihre eigenen Interessen gewahrt sehen wollen, haben an einem Machtwechsel kein Interesse. Sie betrachten nur Haydar Alifew und seinen Wunsch-Nachfolger als "Garanten der Stabilität".
Strategischer Partner für die USA
Ähnliches verlautet aus den USA. Washington betrachtet Aserbaidshan als strategischen Partner und "Schlüsselstaat" sowohl im Kampf um die Sicherung von Energieressourcen als auch in Bezug auf die strategische Lage des Landes zwischen Russland und dem Iran. Einmal mehr geht es dabei um Milliardengeschäfte und Investitionen. Bereits kommendes Jahr soll eine mit US-Unterstützung projektiert und durch europäische Gelder mitfinanzierte Pipeline in Betrieb gehen und unter Umgehung Russlands und des Irans Erdöl aus dem Kaspischen Meer von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku über Georgien bis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan gepumpt werden. Gut möglich also, dass die Präsidentenwahl in Aserbaidshan entschieden ist, noch bevor sie stattgefunden hat.