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Jakarta - Heute tritt Indonesiens Parlament zu einer Sondersitzung zusammen, um über die Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens gegen den ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Landes, Abdurrahman Wahid, zu beraten. Zweimal bereits war das Staatsoberhaupt des Inselreichs von den Abgeordneten offen gerügt worden - Korruption und Unfähigkeit lauteten damals wie heute die Vorwürfe. Doch in Wirklichkeit geht es um die demokratische Beschränkung der Machtfülle, welche Indonesiens Verfassung von 1945 dem Inhaber des Präsidentenamts gewährt.
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Bereits Anfang Februar und Ende April hatte das 500-köpfige Unterhaus DPR (Dewan Perwakilan Rakyat) Wahid mit satter Mehrheit verwarnt. Ein Untersuchungsausschuss des Parlaments hatte zuvor Fehlverhalten des Präsidenten in zwei Finanzaffären behauptet - Annahme von Bestechungsgeldern aus dem ölreichen Sultanat Brunei und Veruntreuung von Fondsmitteln der staatlichen Versorgungs- und Ernährungsbehörde Bulog (Badan Urusan Logistik). Alles in allem sollen umgerechnet rund 80 Mill. Schilling verschwunden sein. Obwohl Wahid jede Schuld von sich wies und die Korruptionsvorwürfe von Beobachtern als bloßer Vorwand, ja gar Verleumdungskampagnen eingestuft wurden, um den Präsidenten loszuwerden, offenbarte der Untersuchungsbericht doch bedenkliche Zustände im Präsidentenpalast. Von Nepotismus war da die Rede. Unmut erregten auch manche Auftritte und Aussprüche des nach Schlaganfällen geh- und sehbehinderten Staatsoberhaupts - Wahids oft arroganter, oft kauziger Regierungsstil ist selten nachvollziehbar und inzwischen untragbar geworden, wenn es nach der politischen Elite des Landes geht.
Das mehrheitlich moslemische Volk denkt da manchmal noch anders: Es verehrt den liberal denkenden, wegen seiner bescheidenen Lebensführung berühmten Moslemführer und Mitbegründer der Partei der nationalen Erweckung PKB (Partai Kebangkitan Bangsa) wie einen Weisen oder Heiligen. Vor allem in seiner Heimat Surabaya, der zweitgrößten Stadt Indonesiens, und ihrem ostjawanesischen Umland, hat er noch viele Anhänger, die dieser Tage teils gewalttätig gegen die sich ankündigende Absetzung ihres Idols protestieren. Gestern musste die Polizei die aufgebrachte Menge - in der Stadt Pasuruan sollen es bis zu 10.000 Menschen gewesen sein - mit Warnschüssen in Schach halten.
Diktatorische Befugnisse
Im Vorfeld der heutigen Sondersitzung hatte Wahid mit der sogleich wieder dementierten Überlegung, den Notstand auszurufen und das Parlament abzusetzen, abermals für Verwirrung und Bedenken gesorgt. Denn ein solcher Schritt stünde ihm laut Verfassung durchaus zu: Sie verleiht dem indonesischen Präsidenten nahezu diktatorische Befugnisse; auch Langzeitdiktator Suharto agierte ja stets verfassungskonform. Genau besehen ist Abdurrahman Wahid sogar unabsetzbar: Die Beratende Volksversammlung MPR (Madjelis Permusyawaratan Rakyat), das höchste Verfassungsgremium Indonesiens, kann zwar eine Reihe von Verfassungsänderungen vornehmen, aber den Präsidenten kann sie nicht absetzen. Sollte also heute wie zu erwarten das Parlament ein Absetzungsverfahren beschließen, so würde die MPR, die nur einmal jährlich zusammentritt, im August über die Vorlage abstimmen müssen. Ihr Entscheid gegen Wahid käme, nach dem Buchstaben der Verfassung von 1945, einem Putsch gleich. Auf eine veritable Verfassungskrise und politische Spaltung des Landes will es jedoch niemand ankommen lassen, wohl auch Wahid nicht.
Die undurchsichtige Aktion vom Wochenende könnte gleichwohl ein Vorgeschmack sein auf Entwicklungen, die dann drohen, wenn beide Seiten auf einem Konfrontationskurs beharren. Wahid hatte angeblich den Notstand bereits ausgerufen, das wurde aber in eine Order an den Koordinationsminister für Politik, Soziales und Innere Sicherheit, Susilo Bambang Yudhoyono, abgewandelt, bloß die Polizei wegen Kundgebungen von Wahid-Gegnern und Anhängern in erhöhte Alarmbereitschaft zu versetzen. Es scheint, als habe das Militär hier mäßigend auf den Präsidenten eingewirkt. Und was zunächst wie ein Ultimatum an Vizepräsidentin Megawati Sukarnoputri und das Parlament klang - nämlich die Absetzungsbestrebungen unverzüglich zu stoppen - wurde nachher in ein Angebot an die Vizepräsidentin umgemünzt, einen großen Teil der präsidialen Befugnisse zu übernehmen.
Die De-facto-Präsidentin
Bereits im August 2000 hat Wahid einen Teil seiner Amtsgeschäfte an die Vizepräsidentin - laut Verfassung bei Lebzeiten des Präsidenten eine ziemlich inhaltsleere Funktion - abgetreten. Die Tochter des legendären Unabhängigkeits-Präsidenten Sukarno führt inzwischen die Tagesgeschäfte. Ihre Demokratische Partei des Kampfes PDI-P (Partai Demokraasi Indonesia - Perjuangan) hatte bei den ersten demokratischen Wahlen 1999 nach der Suharto-Diktatur 33 Prozent der Stimmen erhalten, Wahids Erweckungspartei nur 10 Prozent. Dennoch hatte eine gegen die PDI-P, die größte Partei Indonesiens, gerichtete Koalition Wahid auf den Sessel des Präsidenten gehoben; nun möchte Sukarnoputris Partei verständlicher Weise in den Genuss der Macht gelangen. Doch soll dies nicht allzu augenfällig und brutal geschehen; man will nicht in den Geruch von Usurpatoren kommen, wo man doch die Mehrheiten ohnehin auf seiner Seite hat. Da Wahid nicht freiwillig zurücktreten will, wird wohl eine Lösung favorisiert werden, worin die MPR per Verfassungszusatz die präsidiale Macht weitestgehend an die Vizepräsidentin überträgt, Wahid jedoch in Amt und Würden belässt.
Ein erster Schritt der Entspannung ist schon die gestrige Erklärung des Generalstaatsanwalts Marzuki Darusman: In beiden Fällen, Korruption und Veruntreuung, konnte Wahid keinerlei Schuld nachgewiesen werden. Doch abgestimmt wird, wie Parlamentssprecher Akbar Tandjung sagte, nicht aus rechtlichen, sondern aus politischen Überlegungen.