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Demütigung und Signal

Von Vilja Schiretz

Politik

Die ÖVP-FPÖ Zusammenarbeit in Niederösterreich schien unvorstellbar. Nun könnte sie zum Vorbild im Bund werden.


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Kreide gegessen habe Strache, lautete eine beliebte Metapher. Im Wahlkampf zur Nationalratswahl 2017 zeigte sich der spätere FPÖ-Vizekanzler ruhiger und staatsmännischer, als man den langjährigen Parteichef bis dahin gekannt hatte - zumindest im Auftreten, die blauen Kernthemen blieben dieselben.

Der Vergleich aus dem Märchen mit dem Wolf und den sieben Geißlein war auch schon bemüht worden, als Norbert Hofer 2016 in die Stichwahl um die Hofburg zog. Sein Dauerlächeln wurde zu seinem Markenzeichen im Wahlkampf, schlussendlich erreichte er damit knapp die Hälfte der österreichischen Wählerschaft.

Als dann Herbert Kickl die Partei übernahm und von Anfang an auf einen radikalen, rechtspopulistischen Kurs setzte, schien für viele Beobachter die Rolle der FPÖ als Oppositionspartei einzementiert. Eine Koalition mit "dieser FPÖ" sei für sie ein "No-Go", sagte ÖVP-Verfassungsministerin Karoline Edtstadler im Mai 2022.

Totale Konfrontation

Doch nun hat sich die ÖVP Niederösterreich auf eine Zusammenarbeit mit der Landes-FPÖ rund um Udo Landbauer geeinigt. Landbauer ist kein Hofer, kein Strache und auch kein Manfred Haimbuchner, der seit Jahren mit der ÖVP in der oberösterreichischen Landesregierung zusammenarbeitet und etwa beim Thema Impfen auf einem gemäßigteren Kurs segelte als manch ein Parteikollege. Nicht so der Chef der niederösterreichischen Landespartei. "Totale Konfrontation, Angriffe und Untergriffe", charakterisierte ÖVP-Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner Landbauers Stil bei einer Fernsehdiskussion vor der Wahl.

"Zwischen Landbauer und Kickl passt inhaltlich kein Blatt", sagt Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle. Im Wahlkampf prangerten die Freiheitlichen die Corona-Politik der ÖVP an, schrieben auf Facebook von "Impfterror" und "Maskenzwang". Landbauer machte neben der Pandemiebekämpfung auch die Russland-Sanktionen und "Klimahysterie" für die Teuerung verantwortlich.

Zentrales Thema war freilich auch Migration, einen von mehreren Tiefpunkten erreichte die Debatte, als Landbauer im "Standard"-Interview die Gültigkeit der Menschenrechte für Nicht-Österreicher in Frage stellte. "Wenn die Menschenrechte dazu führen, dass wir in Österreich 120.000 Asylanträge haben, ist es an der Zeit, einen eigenen Grundrechtskatalog für Österreich aufzulegen", wurde Landbauer in der Tageszeitung zitiert.

Auch Mikl-Leitner, in einer Plakatkampagne der FPÖ aus dem Jahr 2017 als "Moslem-Mama" Mikl bezeichnet, wurde im Wahlkampf zum Feindbild, mehrmals gab Landbauer das Versprechen ab, Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau zu wählen.

Dass im Dezember 2022 Vorwürfe bekannt geworden waren, der mittlerweile zurückgetretene Direktor des ORF Niederösterreich Robert Ziegler habe sich für mehr Berichterstattung zugunsten Mikl-Leitners eingesetzt, war freilich Wasser auf den Mühlen der Freiheitlichen. Dass Ziegler Mikl-Leitner ausgerechnet im Umgang mit Landbauers Liederbuchaffäre im Jahr 2018 beraten haben soll, noch mehr. Mikl-Leitner habe sich ihre absolute Mehrheit 2018 "erschlichen", konstatierte die FPÖ.

Und nun will man in der nach dem Proporzsystem besetzten Landesregierung gemeinsame Sache machen. Jeder, der meint, sie habe eine solche Konstellation von Anfang an angestrebt, "ist nicht ganz bei Trost", sagte Mikl-Leitner bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Landbauer am Freitag. Glücklich ist man also nicht damit, doch das "Paket der Maßlosigkeit", das die SPÖ zur Koalitionsbedingung gemacht hatte, habe Schwarz-Blau alternativlos gemacht.

Andere Regeln im Propoz

Ein Tabubruch? Nicht ganz, meint Stainer-Hämmerle. "Im Proporz gelten immer andere Regeln, die ÖVP hat keinen Einfluss auf die Zusammensetzung der Landesregierung. Die Frage ist auch, wie sehr man ein solches Arbeitsübereinkommen merkt. Es gibt immer noch andere Möglichkeiten, freie Mehrheiten zu finden, ohne, dass die Regierung platzt."

Einen Tabubruch sieht auch Politikwissenschaftler Peter Filzmaier nicht und verweist auf die schwarz-blaue Regierungszusammenarbeit in der oberösterreichischen Proporzregierung. Mit einem entscheidenden Unterschied: "Die eine Seite kann nicht einmal bei der Trauung ja sagen." Denn Landbauer will sein Versprechen halten, Mikl-Leitner nicht zur Landeshauptfrau zu wählen. Man werde bei der konstituierenden Sitzung des Landtags am Donnerstag ungültige Stimmen abgeben, kündigte er an. Als "demütigend" für Mikl-Leitner sieht auch Stainer-Hämmerle die Bedingungen, an die die FPÖ die Einigung geknüpft hat. "Dass der Preis mit den Roten so viel höher gewesen wäre, verstehe ich nicht."

Signale für den Bund

Das Auftreten der Blauen zeuge dagegen von einem neuen Selbstbewusstsein der FPÖ, meint die Politologin. "Sie währen sich jetzt in einer stärkeren Position, müssen sich nicht regierungstauglicher zeigen." Umfragen und Wahlergebnisse geben der FPÖ Recht, die tiefe Unzufriedenheit in der Bevölkerung, sei es im Bezug auf Corona oder die Teuerung, verhelfen den Freiheitlichen zu einem Höhenflug. Der Kickl-Kurs ist salonfähig geworden.

Die Einigung in Niederösterreich könnte jedenfalls auch auf Bundesebene wieder die Weichen nach rechts stellen, glaubt Stainer-Hämmerle. "Es ist auf jeden Fall ein Zeichen, dass jetzt zwei bevölkerungsstarke Bundesländer wieder schwarz-blau regiert werden", sagt sie. Und auch Bundeskanzler Karl Nehammer habe sich bei seiner "Kanzlerrede" inhaltlich nahe an der FPÖ positioniert, "entweder in Richtung freiheitliche Wählerschaft oder schon in Richtung Koalition".

Ebnet Schwarz-Blau in Niederösterreich den Weg für jene Koalition mit der Kickl-ÖVP, die Edtstadler vor einem Jahr noch ausgeschlossen hat? "Man steuert auf eine haidersche Gretchenfrage zu", sagt Filzmaier. "Mit Kickl oder ohne?" Im Jahr 2000 hatten sich ÖVP und FPÖ auf eine Koalition geeinigt, statt Parteichef Jörg Haider wurde aber Susanne Riess-Passer Vizekanzlerin.

2024 könnte in dieser Frage anders entschieden werden. Angesprochen auf die FPÖ unter Kickl sagte ÖVP-Klubobmann August Wöginger diese Woche: "Wir können ja nicht generell eine Partei ausschließen, das bringt ja auch nichts."