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Demütigungen machen von Armut Betroffene krank

Von Martina Madner

Politik
Sozial engagiert. Henriette Gschwendtner setzt sich als selbst Betroffene heute wieder für andere psychisch Erkrankte ein.
© Exit-Sozial

Wie man mit Anerkennung und Freundschaft die krankmachende Armutsfalle durchbricht.


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Wien. Henriette Gschwendtner ist eine selbstbewusste "über 60-Jährige" Engagierte. Sie tauscht sich über die Plattform "Sichtbar werden" mit anderen von Armut betroffenen Menschen aus, sie ist außerdem Sprecherin des Vereins "Exit sozial", der psychisch Erkrankte unterstützt. Als solche trifft sie schon mal die Landespolitik in Oberösterreich. Da geht es darum, nackten Zahlen ein Gesicht zu geben und Forderungen nach mehr Mittel mit den Argumenten von direkt Betroffenen zu untermauern. "Dafür habe ich auch sehr viel Anerkennung erhalten", sagt Gschwendtner.

Dass sie kraftvoll und mit Tatendrang auftritt, war allerdings nicht immer so. Schließlich hat es einen Grund, warum Gschwendtner seit 2009 in einer "Exit sozial"-Wohngemeinschaft teilbetreut wohnt.

Beschämung führtzu schlechteren Leistungen

Denn nicht nur Armut selbst macht krank - drei Vertreter der Armutskonferenz, die von 5. bis 7. März das elfte Mal stattfindet, verdeutlichen, dass Demütigungen von Armut betroffener Menschen psychisch und physisch krank machen. Neben Gschwendtner zeigen auch Martin Schenk, stellvertretender Direktor der Diakonie und Psychologe, sowie Alban Knecht, Soziologe an der Kepler-Universität in Linz, auf, dass Beschämungen Stress erzeugen, der Krankheiten auslöst. Beides führt zu schlechteren Leistungen.

Man stelle sich einen Dorfplatz vor: Kinder unterschiedlicher sozialer Schichten lösen Rechenaufgaben. Sie schneiden gleich gut ab, wenn sie nichts von der Herkunft der anderen wissen. Sobald aber klar ist, wer aus einem gut situiertem bzw. einem armen Haushalt kommt, sinken die Leistungen der Kinder mit niedrigem sozialen Status deutlich. Martin Schenk verdeutlich mit diesem Experiment, dass Weltbank-Ökonominnen in Indien gemacht haben, dass jemand, der damit rechnet, unterlegen zu sein, tatsächlich schlechtere Leistungen bringt. "Beschämung hält Menschen klein", sagt er.

In der deutschen Hartz-IV-Debatte wurden Arbeitslose mit Politiker-Sätzen wie "Es gibt kein Recht auf Faulheit" unterstellt, "Missbrauch, Abzocke und Selbstbedienung im Sozialstaat" zu betreiben. Die Folgen davon führt Soziologe Knecht aus: "Durch solche wiederholten Verdächtigungen verliert man die Anerkennung. Die Unsicherheit nimmt zu, auch in der Mittelschicht."

Ohnmächtige wieder ermächtigen

Schenk: "Wenn ich mich anstrenge, viel in eine Sache hineinbuttere und dann nichts herausbekomme, keine Anerkennung, kein freundliches Wort, dafür miesen Lohn und keine Aufstiegschancen, dann wird es massiv gesundheitsschädlich." Mit sozialer Ungleichheit steigen nicht nur Depressionen, sondern auch Herzkreislauferkrankungen und solche des Bewegungsapparats.

Zurück zu Gschwendtner, deren Lebensgeschichte diesen Mechanismus beispielhaft zeigt. Sie arbeitete im Verkauf, musste hohe Vorgaben erfüllen. "Es ist der Druck, den man sich selbst macht, die Ziele zu erreichen. Dann gab es noch Neid und Mobbing von Kolleginnen, wenn man was besser gemacht hat. Anfangs kann man nicht mehr schlafen, es waren aber schon die ersten Anzeichen eines Burnouts."

In Zeitraffer erzählt folgten Arbeitslosigkeit, Notstand, abgelehnte Anträge auf Invaliditätspension, ein Schuldenberg, eine Depression: "Man glaubt gar nicht, wie schnell man in so was reinrutscht", sagt sie heute. Erst mit Hilfe von Exit-Sozial konnte sie diese Probleme bewältigen, wieder Selbstwertgefühl aufbauen, in Programmen am zweiten Arbeitsmarkt "wieder meinen Fähigkeiten nachgehen". Zu Beginn ihrer Arbeitslosigkeit hätte sie es möglicherweise noch auf den ersten Arbeitsmarkt zurückgeschafft, glaubt sie. "Das AMS aber war da keine Stütze. Man zieht sich dann noch mehr zurück, weil du schämst dich dafür, dass du es nicht schaffst."

Dabei wäre das Rezept gegen diesen "Giftcocktail" ein einfaches aus drei Zutaten, sagt Schenk: "Freundschaft, denn Einsamkeit schwächt, echte soziale Netzwerke stärken. Dazu Selbstwirksamkeit, also das Gefühl, die Welt im Griff zu haben sowie Anerkennung und Respekt." Schenk geht davon aus, dass es sowohl für die Betroffenen besser als auch kostengünstiger wäre, diese "Lebensmittel" an Schulen, Sozialämtern oder dem AMS zu verteilen, anstatt sozial Benachteiligte zu Sündenböcken zu erklären und Zwangsinstrumente gegen sie einzusetzen.