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Den Blick nach vorn

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Trotz verzweifelter Lage feiern die Christen in Alqosh das heilige Fest - viele sind es nicht mehr.


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Alqosh. "Die Christen im Irak sind wie das Feuer, das noch unter der Asche schwelt." Pater Joseph ist aus dem Libanon nach Alqosh gekommen, um seinen Glaubensbrüdern in diesen schweren Zeiten beizustehen. Im Kloster "Unserer lieben Frau" am Fuße der Dohuk-Berge wird emsig der Heilige Abend vorbereitet. Kerzen werden aufgestellt, rote und weiße Tücher aufgehängt, das Weihrauchfass vorbereitet. Große, mit Stroh bedeckte Kartons bergen die Krippenfiguren. Sie waren ganz unten im Keller eingemauert, als der Angriff von Daesh - das arabische Wort für die Kämpfer des Islamischen Staates (IS)- kam. Auch für die Christen ist Daesh zum Schreckgespenst geworden. Über zwei Millionen Menschen sollen laut UN-Angaben vor den Extremisten auf der Flucht sein. Anfang August überrannte die Mörderbande auf ihrem Weg in die Kurdenmetropolen Erbil und Dohuk die 60.000 Einwohner zählende Christenstadt Karakosh und alle Dörfer, die dazwischen lagen. In Tilkef, nördlich von Mosul, konnte sie gestoppt werden. Von dort sind es nur noch 20 Kilometer nach Alqosh.

Zwei Drittelermordet oder geflohen

Der Pater nimmt das Jesuskind aus dem Karton und platziert es in die Grippe. "Das Wichtigste ist jetzt, die Zukunft vorzubereiten", sagt Joseph aufmunternd zu seinem Kollegen Gabriel. Die Vergangenheit sei dunkel. Zwei Drittel der irakischen Christen seien in den letzten zehn Jahren entweder ermordet worden oder hätten das Land verlassen. "Zuerst wütete die Al-Kaida und jetzt Daesh." Christen werden massakriert, durch Bomben getötet, erschossen, verschleppt, um Lösegeldzahlungen zu erpressen. Ihre Kirchen werden zerstört und in Brand gesteckt. Das Kloster St. Georg in Mosul, dem Alqosh untersteht, sei von den islamistischen Gotteskriegern besetzt und zum Frauengefängnis umfunktioniert worden, hat der libanesische Pater erfahren. In der einst an Christen reichen Stadt Mossul lebe heute kein einziger mehr.

Joseph schätzt, dass sowieso nur noch etwa 300.000 Chaldäer im Zweistromland sind - von einst 1,2 Millionen. Die Chaldäer bilden die größte Gruppe der Christen im Irak. Sie sind der katholischen Kirche in Rom verpflichtet. Ihre Festtage sind deckungsgleich.

Alqosh hatte Glück im Unglück. Die historische Gemeinde, deren Wurzeln bis ins 8. Jahrhundert vor Christus zurückreichen, ist bis jetzt mit einem blauen Auge davongekommen. Zwei Tage vor dem Angriff von Daesh am 7. August erhielt Pater Gabriel eine Warnung des kurdischen Geheimdienstes Asayesh, dass die Terrormiliz nicht nur die Yeziden-Stadt Sinjar, sondern auch andere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen wolle. Binnen weniger Stunden war der Ort leergefegt. Fluchtartig verließen 1000 Familien ihr Zuhause und flüchteten in die Berge oder nach Dohuk. Alqosh und die umliegenden Dörfer wurden zu Geisterstädten. Jetzt sind fast alle wieder zurückgekehrt. Auch in den jesidischen Nachbardörfern ist wieder Leben.

Die Dschihadisten haben Alqosh und die umliegenden Orte nie betreten und konnten sie so auch nicht "entweihen", wie Gabriel es nennt. Etwa 300 Familien seien nicht wiedergekommen, dafür aber 400 Flüchtlingsfamilien aus dem von Daesh noch immerbesetzten Karakosh. Die Gemeinde verzeichnet einen kleinen Zuwachs. Zu Weihnachten würden sie alle noch näher zusammenrücken. Christen aus den umliegenden Dörfern kämen dann, um die Mette im Kloster zu feiern. Gabriel hofft, dass auch einige aus dem geschundenen Mosul dabei sein werden.

Was die Chaldäer von den Katholiken unterscheidet, ist zum einen, dass ihre Priester nicht dem Zölibat unterliegen. Sie dürfen heiraten und eine Familie gründen. Zum anderen steht für sie nicht das Leiden Christi im Vordergrund, sondern seine Auferstehung. Am Kreuz in chaldäischen Kirchen hängt nicht der Leichnam des Gekreuzigten. Es ist leer.

Ruf nachinternationalem Schutz

"Unser Glaube ist zukunftsorientiert", erklärt der Patriarch der Chaldäer, Louis Sako, die Philosophie seiner Religion. "Wir müssen weitermachen." Pater Joseph nennt pragmatisch die Forderungen, die ein Weitermachen voraussetzen: "Wir brauchen eine Region für Christen, die von unabhängigen Sicherheitskräften geschützt wird. Wir brauchen UNO-Truppen." Zurzeit leben im Kloster neun Priester, zwei Novizen und 14 Waisenkinder. Es gäbe aber Platz für viel mehr. Doch der ambitionierte Ausbau steht aufgrund der Sicherheitslage still. Der Rohbau des angrenzenden Pilgerhauses lässt die Ambitionen erkennen, die Alqosh und sein Kloster einmal hatten. Auch die Renovierung der ehemaligen Eremitengebäude Sankt Hormizd aus dem 7. Jahrhundert stockt. Malerisch in die Felsen gehauen, sollten es einmal Höhlen als Meditationsräume für Christen aus aller Welt bieten. Mehr als Wasserleitungen und gemauerte Fensterrahmen weisen die Höhlenzimmer derzeit jedoch nicht auf.

An Religionstourismus ist derzeit nicht zu denken. Für die Chaldäer im Irak gilt, die Abwanderung der Christen aus dem Irak aufzuhalten. "Damit die Menschen hierbleiben, brauchen wir außer Sicherheit auch Arbeitsplätze", sagt Pater Gabriel vorausschauend. "Sie müssen Vertrauen finden."

Für Weihnachten hat sich der chaldäische Geistliche etwas ganz Besonderes ausgedacht. Er hat eine Landkarte des Iraks aus Pappe hergestellt und die wechselvolle Geschichte von der Zeit der Assyrer, seiner Vorfahren bis heute darauf vermerkt. Die Provinz Nineveh, wo Alqosh sich befindet, ist ein heller Schein, "die Entstehung des Christentums". Richtung Süden werden die Farben immer dunkler, bis schließlich das Schwarz dominiert. "Wir müssen im Licht bleiben", beschwört er die Umstehenden und auch sich selbst. "Auch wenn es manchmal an die Grenzen des menschlich Ertragbaren geht."