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Israels Regierung hat die internationale Boykottkampagne als "terroristisch" deklariert.
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Tel Aviv. Die gröbsten Angriffe sind vorerst überstanden, registriert man in Jerusalem befriedigt. Die palästinensische Fifa-Petition, die einen Ausschluss Israels aus dem Weltfußballverband forderte, zerschlug sich noch vor der Abstimmung. Stéphane Richard, Chef des Telekommunikationskonzerns Orange, der zu Monatsbeginn während eines Aufenthalts in Kairo den Rückzug von Orange aus dem israelischen Markt ankündigte, hat vergangene Woche den Canossagang nach Israel angetreten und sich gegen jede Form von Boykott ausgesprochen. Und in Schweden hat eine Supermarktkette ihren Entscheid, keine israelischen Produkte mehr anzubieten, verworfen.
Dennoch: Israels Ton gegen die seit Jahren existierende Kampagne "Boycott, Divestment, Sanctions" (BDS) hat sich verschärft, seit Regierungschef Netanjahu vor einem Monat sein neues, mehrheitlich aus Rechtsparteien bestehendes Kabinett vorgestellt hat. Kürzlich verglich Netanjahu nach einem Treffen mit dem polnischen Außenminister die internationale Boykottkampagne gegen Israel mit den Judenverfolgungen im Dritten Reich. Seine Parteikollegin Anat Berko, Mitglied im israelischen Parlament, bezeichnete die Fifa-Petition als "diplomatischen Terrorismus" und Fortführung der palästinensischen Massaker an israelischen Athleten während der Olympischen Spiele 1972 in München. Die Haltung ist parteiübergreifend: Eine "diplomatische Intifada" nannte Oppositionsführer Jitzak Herzog die Kampagne, und für Yair Lapid von der liberal-zionistischen Zukunftspartei sind die BDS-Aktivisten "Marionetten der Hamas und des Islamischen Dschihad".
"Antiisraelischer Zeitgeist"
Dass sich Israels Politik gegen die andauernde Delegitimierungskampagne zur Wehr setzt, ist keine Neuheit. Bereits 2011 billigte das Parlament das sogenannte "Anti-BDS-Gesetz", das Organisationen oder Personen, die sich durch Boykottaufrufe geschädigt fühlen, den Gang vor Gericht erlauben. Ob das Gesetz zur Anwendung kommt, ist noch immer offen. Gegenwärtig prüft der Oberste Gerichtshof, ob damit die Meinungsfreiheit verletzt werde. Zudem ist zweifelhaft, ob damit gegen die Boykottbewegung, die in erster Linie international aktiv ist, vorgegangen werden kann. Deshalb hat das Kabinett alternative Pläne entwickelt. Justizministerin Ajelet Schaked hat vergangene Woche angekündigt, ihr Ministerium suche nach Möglichkeiten, international tätige antiisraelische Aktivisten wegen Rassismus und Diskriminierung in ihren Heimatländern vor Gericht zu bringen. Und das Erziehungsministerium verlangt nun von Studenten, die an internationalen Austauschprogrammen teilnehmen, die Absolvierung eines einführenden Diplomatiekurses, um Israels Positionen in ausländischen Studentenkörperschaften einbringen zu können.
Die gestiegene Aufmerksamkeit, die Israels Politik der BDS-Kampagne schenkt, erstaunt nur auf den ersten Blick. Zwar hat weiterhin kein global tätiger Konzern sich aus Israel verabschiedet, und kein politisches Organ hat seine Beziehungen zum jüdischen Staat abgebrochen. Zugenommen haben jedoch Boykotte im akademischen und kulturellen Bereich, wie das Reut-Institute, ein politischer Think Tank in Tel Aviv, der seine Analysen auch der Regierung zur Verfügung stellt, in einer Auflistung festhält. "Wirtschaftlich und politisch ist BDS keine einflussreiche Kampagne", sagt Eran Shayshon vom Reut-Institute, der Erfolg der Bewegung liege jedoch darin, einen anti-israelischen "Zeitgeist" geformt zu haben. "BDS hat es geschafft, eine israelkritische Haltung, die ursprünglich aus linksextremen oder islamistischen Kreisen stammt, im liberalen Mainstream zu etablieren", sagt Shayshon. "Selbst humanitäre Hilfseinsätze wie in Haiti oder Nepal werden verdächtigt, Israels Politik gegenüber den Palästinensern zu übertünchen." Während BDS-Aktivitäten bisher in Palästina kaum auf Resonanz gestoßen seien, profitiere die Palästinensische Autonomiebehörde nun verstärkt vom israelkritischen Klima. Vorstöße auf internationaler Ebene wie die Fifa-Petition seien die Folge davon. Ob die angekündigten Maßnahmen der Regierung den Zeitgeist neu zu lenken vermögen, bezweifelt Shayshon: "BDS hat sich als Graswurzel-Bewegung unterhalb der staatlichen Strukturen entwickelt. Eine Politik, die auf staatliche Institutionen wie die Gerichtshöfe zielt, wird das gesellschaftliche Klima kaum verändern können." Als wenig zielführend hält er zudem den Pauschalvorwurf des israelischen Politikbetriebs, Boykottkampagnen würden sich aus antisemitischen Motiven nähren. "Die Unterscheidung zwischen Kampagnen, die israelische Politik kritisieren, und einer grundsätzlichen Ablehnung des Staates Israel ist wichtig", sagt Shayshon. "Das wird von unseren Politikern manchmal vergessen."
Vatikan schließt Abkommen
Indes hat die Palästinenserführung dem Internationalen Strafgerichtshof einen Bericht über mutmaßliche Kriegsverbrechen Israels übergeben. Dabei geht es um den Gaza-Krieg 2014, Israels Siedlungspolitik sowie palästinensische Häftlinge. Der Gerichtshof hatte bereits im Jänner vorläufige Ermittlungen zu möglichen Verbrechen Israels in den Palästinensergebieten aufgenommen. Eine zuständige UN-Untersuchungskommission ist seitdem zu dem Schluss gekommen, dass sowohl Israel als auch Palästinenser während des Gaza-Kriegs Kriegsverbrechen begangen haben.
Parallel arbeiten die Palästinenser an ihrer völkerrechtlichen Anerkennung als Staat. Der Vatikan hat am Freitag ein erstes diplomatisches Abkommen mit dem "Staat Palästina" unterzeichnet.