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Den Gedanken ihre Freiheit

Von Heiner Boberski

Wissen

Staatliche Restriktionen und mobilisierte Massen schüchtern Gläubige ein.


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"Geben Sie Gedankenfreiheit!" Dieser Appell, geschrieben in einem Bühnenstück des späten 18. Jahrhunderts (Friedrich Schillers "Don Carlos"), das über 200 Jahre früher spielt (im inquisitorisch-katholischen Spanien), ist nach wie vor aktuell. In weiten Teilen der Welt müssen Menschen leiden, wenn sie sich zu ihrem religiösen Glauben, aber auch zu ihrem Unglauben bekennen wollen. Was ein europäischer Fürst der Aufklärung wie der Preußenkönig Friedrich II. seinen Untertanen zugestand - jeder möge "nach seiner Fasson selig werden" -, ist heute außerhalb von Europa und Nordamerika alles andere als selbstverständlich.

"Von zehn wegen ihres Glaubens verfolgten Menschen sind acht Christen", erklärt Elmar Kuhn, Generalsekretär der Organisation "Christian Solidarity International" (CSI) in Österreich, die gegen alle Verletzungen von Religionsfreiheit, ungeachtet der jeweiligen Religion, auftritt. Im Rahmen der internationalen Tagung "Verfolgte und Verfolger - Weltreligionen: Gewalt und Gottesbilder", die am 18. und 19. Oktober im niederösterreichischen Zisterzienserstift Heiligenkreuz stattfindet, wird Kuhn zum Thema "Religionsfreiheit als Menschenrecht?" sprechen.

Erst Ende September hat das Pew Research Center, ein US-amerikanischer Think Tank, eine Studie vorgelegt, die sogar eine zunehmende Einschränkung der Religionsfreiheit feststellt. 75 Prozent der Menschheit, so die Auswertung der Daten von 2010 aus 197 Staaten, leben in Ländern, in denen die Religionsfreiheit stark oder sehr stark beschnitten wird. Noch vor zwei Jahren ordnete der Pew-Bericht nur 68 Prozent der Erdbevölkerung dieser Gruppe zu. Fielen 2011 nur zehn Länder unter "starke Einschränkung" der Religionsfreiheit, so sind es nun 18, neuerdings auch Russland, Algerien und der Jemen. Laut Pew-Studie leiden in 172 Ländern Christen unter Repressionen, in 148 Muslime, in 64 Juden. Dabei hat man ein Land mangels ausreichender Daten gar nicht in die Studie einbezogen, das punkto Menschenrechtsverletzungen sicher den negativen Spitzenplatz einnimmt: Nordkorea.

Der "Weltverfolgungsindex" des christlichen Hilfswerks "Open Doors" listet Jahr für Jahr die Länder auf, in denen Christen massiv verfolgt werden, dort steht seit Jahrzehnten Nordkorea an erster Stelle. Elmar Kuhn erklärte dazu im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", dass "Nordkorea wie nahezu alle faschistoiden Regime in der Paranoia steckt, dass ihm alles, was nicht staatskonform ist, Angst macht. Das heißt, dass alle Religionen verboten sind, Christen, Buddhisten, Muslime, das ist wirklich die Verfolgung der Religion an sich in einem sich selbst zur Religion und Gott gemachten Diktatorenregime. Das bedeutet auch, dass Treffen praktizierender Christen, auch wenn es Hauskirchen hinter verschlossenen Türen sind, gesprengt, die Bibeln zertreten, die Menschen gedemütigt werden, dass, da Sippenhaftung besteht, ganze Sippen, nur weil einmal aus der Bibel gelesen wurde, in Internierungslager kommen. Man nimmt an, dass insgesamt etwa 70.000 Christen in Internierungslagern sind, und das sind Konzentrationslager im schlimmsten vorstellbaren Sinn. Dass dennoch die christlichen Gemeinden dort wachsen, ist unerklärlich, außer man kennt die alten frühchristlichen Philosophen und Theologen, die gesagt haben, dass das Blut der Märtyrer der Same der Christen ist."

Wie man Intrigen und Denunziation fördert

Diskriminierung religiöser Menschen ist das eine, echte Verfolgung, womöglich noch aufgrund staatlicher Gesetze, ist das andere. Die Organisation "Kirche in Not" hat gerade ihren Bericht 2012 "Religionsfreiheit weltweit" veröffentlicht, ihr Sprecher Peter Sefton-Williams erklärte dazu, "dass in 131 der 196 untersuchten Länder die Mehrheit dem Christentum angehört, aber in keinem dieser 131 Länder enthielt das Gesetzeswerk Gesetze zur Beschränkung der Religionsfreiheit". Hingegen hätten von den 49 Ländern mit muslimischer Mehrheit 17 den Islam als Staatsreligion - mit unterschiedlichen Konsequenzen.

Elmar Kuhn führt das näher aus: "Wo wir wirklich ein Problem haben, das sind Länder, wo zwei Dinge zusammenkommen: wo staatliche Restriktionen, insbesondere Blasphemieparagraphen, die Verunglimpfung religiöser Begriffe unter Todesstrafe oder schwerste Strafen stellen, einhergehen mit starker pogromartiger Mobilisierung von Massen. In fünf Staaten ist ein solcher islamischer Blasphemieparagraph wirklich im Sinn von lebensbedrohend in der Verfassung verankert: Iran, Pakistan, Afghanistan, Saudi-Arabien und Nordsudan."

Der Blasphemieparagraph erinnert Kuhn an Zeiten, als in Europa "durch Intrigen und Denunziationen ganze Familien ausgelöscht wurden. Wenn ich zur Denunziation aufrufe, dann bekomme ich die ganzen Querelen von Erbstreitigkeiten, Landstreitigkeiten, von Versuchen, sich Hab und Gut von anderen anzueignen, all das unter dem Deckmantel der Blasphemie geliefert. Das ist das, was in Pakistan geschieht. Der letzte Fall mit diesem leicht debilen Mädchen war insofern ganz wichtig, weil da herausgekommen ist, dass dieses christliche, Lumpen sammelnde Mädchen gar nicht wusste, was sie da an verbrannten Koranstücken in der Hand hält, und dass der Imam der Gemeinde ihr das selber in die Hand gedrückt hat, um sie zu vernadern. Und da ist zum ersten Mal etwas ganz Tolles passiert, dass in Pakistan die Mitarbeiter dieses Imams gegen ihn ausgesagt haben, dass er eigentlich die Blasphemie begangen hat, um das Mädchen hineinzureiten und ein Pogrom auszulösen."

Pervertierung der Religion aus politischen Motiven

Dass in Pakistan jüngst einem muslimischen Mädchen, das sich für Bildungsfreiheit engagierte, von Fundamentalisten gezielt in den Kopf geschossen wurde, hat zu großen Solidarisierungsaktionen mit diesem Mädchen geführt. Freiheit der Bildung und Freiheit der Religion sind aber im Grunde kaum säuberlich voneinander zu trennen.

Während Kuhn auf einen Stimmungsumschwung und eine Aufweichung des Blasphemieparagraphen in Pakistan hofft, ist er nicht blind gegenüber Vorgängen in Europa: "Umgekehrt haben wir in Russland die Entwicklung eines Blasphemieparagraphen auf christlicher Ebene, geschützt von der orthodoxen Kirche, der zu allen Besorgnissen Anlass gibt, denn was da passiert, sieht man ja jetzt an Pussy Riot. Wenn das mit staatlicher Willkür gegen oppositionelle Gruppen benutzt wird, dann sind wir wirklich im finstersten Mittelalter. Kurz gesagt: Wo auch immer religiöse Gründe benutzt werden, um Menschen zu manipulieren, sie ihrer Habe und ihrer Existenz zu berauben, dort wird Religion zur Pervertierung ihres eigenen ursprünglichen Sinns."

Während Kuhn den Nordsudan zu einem "zweiten Saudi-Arabien" werden sieht, hält er den Südsudan, der sich mit seiner christlichen Mehrheit abgespalten hat, für eine "Erfolgsstory" punkto Religionsfreiheit: "Im Südsudan gibt es eine unglaubliche religiöse Toleranz mit einem Aufblühen aller Religionen, auch des muslimischen Glaubens, mit einer großen gesellschaftlichen Akzeptanz." Als besonders gefährlich empfindet Kuhn derzeit die Entwicklung in Nigeria. Dort gibt es noch keinen Blasphemieparagraphen, der Süden des Staates ist mehrheitlich christlich, aber mit Terror versuche die fundamentalistische islamische Sekte Boko Haram vom Norden aus, "das Land in einen Staatsislam zu treiben".

Für Kuhn hat Verfolgung aus religiösen Gründen in meistens auch soziale Ursachen. Auf der Weltkarte seien die Gebiete mit Einschränkung der Religionsfreiheit fast deckungsgleich mit jenen, wo es soziale Spannungen gibt. Die Heiligenkreuzer Tagung, bei der auch Ökonomen wie Erich Streissler zu Wort kommen, geht daher der Frage nach, wie weit es möglich ist, religiöse Verfolgung durch wirtschaftlich-soziale Maßnahmen zu reduzieren. Kuhn meint: "Sie können Menschen nur dann auf die Straße bringen und erreichen, dass sie sich in Konflikte hineintigern lassen, wenn sie nichts zu verlieren haben."

Formen der Ausübung von Religion können stören

Was für jede Freiheit gilt - nämlich, dass sie dort enden sollte, wo sie die Freiheit eines anderen einschränkt -, betrifft auch die Religionsfreiheit. Ob Formen von Religionsausübung andere nur stören (Stichworte: Minarette, Kopftücher, Burkas, Kreuze, Fronleichnamsprozessionen oder Kirchtürme) oder wirklich verletzend und nicht mehr zeitgemäß sind (Stichworte: Beschneidung, Schächtung), darüber wird man in einer einigermaßen toleranten Gesellschaft zwischen Gläubigen verschiedener Richtungen und Ungläubigen diskutieren können. Das sind freilich Detailprobleme neben der grundsätzlichen Frage, ob sich jemand in einem Land überhaupt öffentlich zu seinem Glauben - oder auch zu Atheismus oder Agnostizismus - bekennen kann. An die Mächtigen vieler Länder ist nach wie vor der Appell zu richten: "Geben Sie Gedankenfreiheit!"