Nur 18 Prozent vertrauen den USA. | Trotzdem ist Mehrheit gegen einen raschen Abzug. | Die Bilder glichen denen vor vier Jahren. Am Wochenende versammelten sich allein in Washington rund 20.000 Kriegsgegner, tausende kamen in San Francisco, New York und Portland zusammen, um gegen die Anwesenheit der US-Truppen im Irak zu protestieren. Auch in Europa gab es solche Demonstrationen. Insgesamt gingen aber deutlich weniger Menschen auf die Straße als zu Beginn der Irak-Krieges, der sich am heutigen Dienstag zum vierten Mal jährt - vielleicht auch deshalb, weil selbst Pazifisten nicht wirklich eine Lösung für das Dilemma im Irak parat haben.
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Unter den Millionen, die gegen den Irak-Krieg auftraten, ehe auf Bagdad am 20. März 2003 die ersten Bomben fielen, waren wohl die meisten prinzipiell gegen eine gewaltsame Lösung von internationalen Konflikten. Vermutlich waren aber auch manche darunter, die dem Irak eine Zukunft ähnlich dem Bild prophezeiten, wie er es heute bietet: Chaos, sektiererische Zersplitterung, fortdauernde Kämpfe.
Damit bewiesen sie jedenfalls mehr Weitblick als die amerikanische Regierung unter George W. Bush. Denn die Neo-Konservativen gingen in den Krieg, den sie gedanklich schon zu Zeiten von Bush-Vorgänger Bill Clinton vorbereitet hatten, ohne jeden Plan, wie die Besatzungspolitik auszusehen hätte. Der Krieg gegen die Armee von Diktator Saddam Hussein war zwar rasch und mit wenig Aufwand gewonnen, die regierende Baath-Partei und ihre Stützen, Armee und Polizei, schnell zerschlagen - es wurden aber viel zu wenig US-Soldaten in die Region geschickt, um diese Ordnungskräfte zu ersetzen. 400.000 wären nach Meinung von Militärexperten notwendig gewesen.
Existentielle Bedrohung
Die Zuversicht, die Amerikaner würden als Befreier willkommen geheißen, verflüchtigte sich rasch. Heute glauben die Iraker den USA weniger als je zuvor: Laut einer jüngsten, von internationalen Medien beauftragten repräsentativen Studie ist das Vertrauen der Bevölkerung in die US-Truppen auf nur noch 18 Prozent gesunken. 40 Prozent machen Bush hauptverantwortlich für die Situation im Land.
Diese besteht vor allem in existenzieller Bedrohung: 86 Prozent der 2000 Befragten befürchten, dass eines ihrer Familienmitglieder Opfer der Gewalt werden könnte. Zwei Drittel bewerten die Bemühungen um den Wiederaufbau als erfolglos. Infrastruktur und Arbeitsmöglichkeiten werden schlechter bewertet als ein Jahr zuvor - und kaum jemand erwartet Verbesserungen. Der Regierung des schiitischen Premiers Nuri al-Maliki vertraut nicht einmal jeder Zweite.
Trotz alledem sind nur 35 Prozent für den sofortigen Abzug der US-Truppen. Denn wie grausam die Alternativen wären, wird den Irakern täglich in Form von religiös oder kriminell motivierten Morden und von Bombenanschlägen vor Augen geführt. Am Montag starben in Bagdad acht Menschen vor einer schiitischen Moschee, im nördlichen Kirkuk starben bei vier Anschlägen zwölf Menschen. In Kirkuk verschärft sich die Lage, weil die Kurden dieses Zentrum der ölreichen Region für sich beanspruchen, unter Saddam aber viele Araber dort angesiedelt wurden. Immer wieder wird von einer drohenden Spaltung des Irak gesprochen.
Angesichts dieser Lage sind auch manche Kriegsgegner in der Demokratischen Partei wie die potentielle US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton gegen einen überstürzten Abzug. Zwar versucht ihre Partei, Stimmung zu machen gegen die von Bush versprochene Entsendung zusätzlicher US-Soldaten.
Demokraten im Dilemma
Vergangene Woche scheiterten die Demokraten aber im Senat mit dem Versuch, das Rückzugsdatum mit 31. März 2008 festzulegen. Obwohl die Partei eine 51:49-Mehrheit hat, stimmten nur 48 Senatoren für den schnellen Rückzug, 50 dagegen.
Auch vor einem Blockieren des Militäretats schrecken die Demokraten vorerst zurück. Dies könnte bei den patriotischen Amerikanern als Zeichen gedeutet werden, die eigenen Truppen im Stich zu lassen und ihnen in den Rücken zu fallen. Daher hoffen auch viele Kriegsgegner insgeheim auf die derzeitigen Anstrengungen der US-Regierung, die Lage im Irak wenigstens ansatzweise zu stabilisieren. Wenn das Schreckgespenst eines US-feindlichen, islamistischen Irak, der auch als Terroristen-Hochburg dienen kann, gebannt scheint, kann man bedenkenlos den Abzug der US-Truppen propagieren.
Kleine Hoffnungsschimmer gibt es: Die Sicherheitsoffensive in Bagdad hat zumindest dafür gesorgt, dass die Zahl der täglichen Fememorde zurückgeht. Der kürzlich abgehaltenen Irak-Konferenz unter Einbeziehung der Nachbarländer soll bald eine weitere folgen. Der radikale Schiitenprediger Muktada al-Sadr, Führer der Mahdi-Milizen, hält sich etwas zurück und erlaubt sogar Razzien in dem Bagdader Vorort, der nach ihm benannt ist.
Am Freitag protestierte er allerdings dagegen, dass in Sadr-City ein gemeinsames Kommandozentrum irakischer und amerikanischer Soldaten errichtet werden soll. Die Iraker seien willkommen, die US-Truppen will er aber nicht haben. Damit stellt sich al-Sadr zwar hinter die Bemühungen, Sunniten und Schiiten zu versöhnen, bestätigt aber gleichzeitig seinen Willen, die USA möglichst schnell aus dem Land zu werfen - ein weiteres Zeichen für die labile Situation, die den Irakern so wenig Hoffnung lässt.