Die historisch begründete Zersplitterung des Islam und blutige Konflikte zwischen Muslimen verhindern Verallgemeinerungen.
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Die Türken sind Muslime und leben in einem säkularen Staat, obschon "Ehrenmorde" noch immer nicht ausgerottet und Christen rechtlich benachteiligt sind. In der islamischen Republik Sudan regelt die Scharia alles bis hin zur Steinigung von Ehebrecherinnen. Und die saudische Religionspolizei verhaftet einen Ausländer wegen einer angeblich geplanten Silvesterfeier, die als "unislamisch" untersagt ist. Zwischen diesen Extremen liegt die muslimische Welt - theoretisch, denn der Islam zerfällt in Sunniten und Schiiten (und in weitere Gruppen), deren unversöhnlicher Streit um die Rechtsnachfolge des Propheten Mohammed seit 1400 Jahren anhält. Die Serien blutiger Anschläge auf die jeweils "Andersgläubigen" im Irak dokumentieren es.
Im irakisch-iranischen Krieg von 1980 bis 1988 ging es um Erdöl und die Führungsrolle in der Region. Als Verstärker des Konflikts wirkten aber die uralte Rivalität zwischen Arabern und Persern und der religiöse Gegensatz zwischen der sunnitischen Führung in Bagdad und dem schiitischen "Gottesstaat" Iran. Dieser Gegensatz spaltet auch den Irak: Ein Drittel der Bevölkerung sind Sunniten, aber 60 Prozent Schiiten, die Saddam Hussein brutal verfolgte und heute dennoch den Regierungschef stellen.
In Syrien riss der alawitische Assad-Clan 1980 die Macht an sich. Die Alawiten zählen nur rund fünf Prozent der Bevölkerung und praktizieren einen "verwässerten" Islam ohne Moscheen und ohne Pflicht, in Richtung Mekka zu beten oder dorthin einmal im Leben zu pilgern. Mit diesem Clan verbündeten sich diverse Gruppen, um so die Mehrheit der 75 Prozent Sunniten in Schach zu halten.
In Ägypten entstand 1928 die Muslimbruderschaft als revolutionäre Bewegung gegen westliche Vorherrschaft und Lebensweise. Ihr jüngster Wahlerfolg in Ägypten wurzelt allerdings in Fürsorge für die Armen, um die sich die "herrschende Klasse" nicht kümmerte. Doch wie ihr tunesischer Ableger bekennt sich die Mehrheit der ägyptischen Muslimbrüder - zumindest vorerst - zu Demokratie und Menschenrechten.
In Gegensatz dazu setzt der politische Islam den Koran und das davon abgeleitete Gesetz der Scharia durch. Das bedeutet radikale Ablehnung des westlichen "Unglaubens" und jeder Säkularisation. Auf diesem Nährboden gedeiht der "Dschihad gegen die Ungläubigen". Die Al-Kaida und ihre Ableger sowie die Hisbollah im Südlibanon oder die Hamas in Gaza legitimieren damit ihren Terrorismus. Sie ignorierten den Entscheid der höchsten islamischen Rechtsinstanz - der Al-Azhar-Universität in Kairo -, wonach Selbstmordanschläge gegen den Koran verstoßen.
Was Wunder, dass "der" Islam im Westen pauschal suspekt ist: Was steckt wirklich unter einem Kopftuch, was wird in europäischen Moscheen ausgeheckt?
Die erdrückende Mehrheit der friedlichen Muslime unter Dauerverdacht zu stellen, löst gar nichts. Das brachte 2004 ausgerechnet der arabische Sender Al-Arabiya auf den Punkt: "Nicht alle Muslime sind Terroristen, aber fast alle Terroristen sind Muslime."