In Österreich gibt es de facto kein Recht auf eine gesunde Umwelt.
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"Der Staat hat eine Schutzpflicht", ht Rechtsanwältin Michaela Krömer in Bezug auf den Klimawandel vor kurzem im "Wiener Zeitung"-Interview festgestellt. Sie wurde bereits von der Österreichischen Liga für Menschenrechte für ihr Engagement mit dem Menschenrechtspreis 2021 ausgezeichnet. Es geht in ihrem laufenden Verfahren aber nicht um konkret vorliegende Schäden, sondern um Verfahren im öffentlichen Recht, um die Grundrechte, also um die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese seien heute mit erhöhter Aufmerksamkeit zu schützen, betont Krömer, denn es gehe um elementare Rechte wie Gesundheit und Leben. Da der Staat verfassungsgemäß eine Schutzpflicht habe, gelte diese auch gegenüber Folgen der Klimakrise, so die Anwältin, die vor dem Europäischen Gerichtshof im Jahr 2021 die erste österreichische Klimaklage eingebracht hat.
Man sollte meinen, es gebe bereits eindeutige Kriterien, die für den Staat ausschlaggebend seien, dieser Schutzpflicht in genügendem Ausmaß nachkommen zu können; dass die nicht zu überhörenden Appelle internationaler Wissenschafterinnen und Wissenschafter (IPCC & ICCA) sowie die Ratifizierung des Pariser Abkommens vor fünf Jahren, auch im Nationalrat, sollten Beweis genug dafür sein, dass der Staat die Gefahren der Klimakrise erkannt hat. Warum aber unternimmt er nicht alles in seiner Macht Stehende, um die Gefahren abzuwenden: Seit 1990 sind in Österreich die CO2-Emissionen nicht gesunken, wir sind Schlusslicht in der EU. Traurig, aber wahr.
Nun liegt hier offenbar ein grundsätzlicher grober Verstoß vor - andere Staaten haben ja schon ansatzweise die Emissionen reduziert -, und trotz einklagbarer Verfassungsrechte, die uns vor dieser Bedrohung durch die Klimakrise beschützen könnten, geschieht (fast) nichts. Allerdings, und das wissen viele nicht, gelten diese Rechte nicht für künftige Generationen - und es gibt de facto auch kein Recht auf eine gesunde Umwelt. Wenn wir dies in Österreich auch noch erreichen wollten, dann müsste das Parlament als gesetzgebendes Organ die entsprechende neue rechtliche Grundlage schaffen.
Dieses Recht auf eine gesunde Umwelt ist wohl das Stichwort für die Biodiversitätskrise in einem nicht-intakten Ökosystem. Es ist zwar in der Grundrechte-Charta veranlagt, wird aber nicht wirklich als Recht, sondern lediglich als Zielbestimmung gesehen, und als solche gilt es lediglich als eine Absichtserklärung und ist nicht einklagbar. Wenn nun der Verfassungsgerichtshof dem Europäischen Gerichtshof dieses Anliegen vorlegt - und wenn dieser es bejaht -, dann wäre das ein Hebel, meint die Umweltanwältin.
Die Frage stellt sich nun, inwieweit die Politik zum Handeln gezwungen werden kann. Hier ist in Deutschland schon mehr passiert. So hat ein Entscheid des deutschen Verfassungsgerichtshofs vom 31. März 2021 die Klimagesetze für nicht ausreichend und damit verfassungswidrig befunden. Seither sind immer mehr Klimaklagen erfolgreich. Dies ist motivierend für andere Länder, denn die rechtliche Ebene ist eine sehr wichtige Option. Vielleicht aber sind daneben auch andere Maßnahmen wie Klimaproteste und gutes Lobbying auf der gesetzgeberischen Seite genauso wichtig.
Strukturelle Änderungen
Stolz kann hier vermeldet werden, dass nach einem erfolgreichen Klimavolksbegehren jetzt ja auch Österreich nach deutschem Vorbild seinen Klimarat hat. Es ist zu hoffen, dass die Entwicklung der Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern auf der Ebene guter Kommunikation und des Verstehens fortschreitet. Und vor allem auch, dass relevante Versäumnisse seitens der Medien sowie unseres Schul- und Bildungssystems bald aufgeholt werden. Was es dringend braucht, sind strukturelle Änderungen für ein politisches Gesamtkonzept, damit die Fahrpläne dorthin nicht nur Ankündigungspolitik bleiben und der Staat endlich seine Schutzpflicht erfüllen kann.
Um diesbezüglich rascher voranzukommen, ist es notwendig, dass der Kern der globalen UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals - SDGs), eine "umfassende Nachhaltigkeit", stärker ins öffentliche Bewusstsein gelangt. Österreich hat sich verpflichtet, im Jahr 2020 erstmals in New York anlässlich des "High Level Political Forums" über den Stand der Erreichung dieser globalen Nachhaltigkeitsziele zu berichten. Allerdings, obwohl diese Ziele vieles formulieren, was in einem Gemeinwesen gut und wichtig ist, und obwohl zivilgesellschaftlich ebenso wie wissenschaftlich intensiv an Optionen zu deren Umsetzung gearbeitet wird, wird diese Agenda 2030 politisch und medial immer noch recht stiefmütterlich behandelt.
Verabschiedet wurden die 17 Ziele mit vielen Unterzielen von der Generalsversammlung der Vereinten Nationen am 25. September 2015. Diese Agenda sollte eine zukunftsorientierte globale Weltordnung darstellen, eine Art Hausordnung für unser "Raumschiff Erde" (Zitat Wolfgang Pekny, Gründer des österreichischen Netzwerks "Ökologischer Fußabdruck"), die klar zum Ausdruck bringt, dass zukunftsfähige Entwicklung nur mit Frieden und Frieden nur mit zukunftsfähiger Entwicklung möglich ist. Diese Agenda berücksichtigt viele Faktoren, die Gewalt, Unsicherheit und Ungerechtigkeit schüren, wie etwa starke Ungleichheit, Korruption, schlechte Regierungsführung oder illegale Finanz- und Waffenströme.
Wirtschafts- und Militärmacht
Gerade jetzt fällt es allerdings schwer, sich vorzustellen, wie zum Beispiel das Ziel Nummer 16 - Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen - je realisiert werden kann, wenn täglich zu beobachten ist, wie die unsichtbare Hand des Marktes nicht ohne die unsichtbare Faust funktioniert und nur noch zwei Weltwährungen zu erkennen sind: wirtschaftliche und militärische Macht.
Gemeinsam mit hochrangigen ehemaligen Politikern hat sich also weltweit eine zivilgesellschaftliche Plattform für "umfassende Nachhaltigkeit" formiert, die sich alternativen Ordnungsrahmen widmet, um fairer Wirtschaft und liberaler Demokratie besser dienen zu können. Sie fordert unter anderem auch, weitere wirksame Maßnahmen im Einklang mit dem Völkerrecht zu ergreifen, um die Hindernisse für die volle Verwirklichung des Rechts der unter kolonialer und ausländischer Besetzung lebenden Völker auf Selbstbestimmung, die ihre wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie ihre Umwelt weiterhin beeinträchtigen, zu beseitigen.
Sie verpflichten sich, interkulturelle Verständigung, Toleranz, gegenseitige Achtung und ein Ethos der Weltbürgerschaft und der geteilten Verantwortung zu fördern. Die Unterzeichner der Forderungen versichern, sie seien sich der natürlichen und kulturellen Vielfalt der Welt bewusst und würden anerkennen, dass alle Kulturen und Zivilisationen zur nachhaltigen Entwicklung beitragen und sie in entscheidendem Maße ermöglichen können.
Konsultative als vierte Säule
Es mag ja beruhigend und ermutigend klingen, zu hören, dass viele dieser Ziele längst auch vom Klimaforschungsnetzwerk Österreichs (CCCA) durchleuchtet, begleitet und wissenschaftlich unterstützt werden und hierzu Optionen zu ihrer Erfüllung erarbeitet werden. Sicher ein schwieriges Unterfangen, begleitet von vielen Widersprüchen. Es bleibt also viel zu tun auf dem "Raumschiff Erde", und die Klimaschutzministerin hat recht, wenn sie im "Wiener Zeitung"-Interview feststellt: "Wir brauchen mutige Klimaschutzpolitik, das ist eine der zentralen Aufgaben." Inwieweit wir dazu "Weltraumstrategien" brauchen, weiß ich nicht - was ich aber weiß: Die Zeit ist überreif für eine evolutionäre Transformation.
Und die vielen engagierten zivilgesellschaftlichen Kräfte brauchen ihren ganzen Mut und viel Vernunft, um eine träge Konsum- und Informationsgesellschaft in Bewegung zu bringen, um politischer Macht auf die Sprünge zu helfen, letztlich auch, um dem Staat in seiner Funktion als schützende Hand über der Bürgerschaft beizustehen. Stimmen werden laut, die nach einer vierten Säule rufen: der Konsultative (www.konsultative.org). Sie sehen darin eine Möglichkeit für mehr Bürgerbeteiligung: Aus- und Weiterbildung von Bürgerräten (in Kooperation mit kompetenten Umweltanwältinnen und -anwälten) in Richtung qualitativer Beteiligung am demokratiepolitischen Prozess - einem Lern- und Suchprozess im systemischen Wandel, den wir nicht Quacksalbern überlassen sollten.