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Den Lärm der Welt vergessen

Von Markus Kauffmann

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Markus Kauffmann , seit 22 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.

Hand aufs Herz: Wüssten Sie auf Anhieb, wo genau Tadschikistan liegt und wie seine Hauptstadt heißt? Ich musste nachschlagen. Aber als Wahlberliner kann ich mit der U-Bahn hinfahren.


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Tadschikistan liegt so halbwegs zwischen Afghanistan und China; seine Hauptstadt heißt Duschanbe. Und das mit der U-Bahn ist natürlich eine journalistische Übertreibung.

Dennoch - ein kleines Stückchen Tadschikistan liegt tatsächlich an der Spree. Und das kam so: Auf der Leipziger Messe 1974 hatte die Sowjetunion in ihrem Pavillon eine originalgetreue "Tadshikische Teestube" ausgestellt und diese danach dem Ministerratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, geschenkt. Der ließ sie nach Berlin verlagern, wo sie im Gebäude der deutsch-sowjetischen Freundschaft eingerichtet wurde.

Die deutsch-sowjetische Freundschaft gibt es nicht mehr, aber das Gebäude existiert noch. Ja, es wurde nach dem Mauerfall auf Hochglanz hergerichtet und stellt ein Juwel des Berliner Spätklassizismus dar. Heute gehört es der Stadt Berlin und wird von unterschiedlichen Einrichtungen, kulturellen wie kulinarischen, genutzt. In den prächtigen Sälen mit ihren Originaleinrichtungen und dem klassizistischen Dekor kann man sogar heiraten.

Im Ostflügel des ersten Stocks gelangt man auf einen Flur, in dessen Winkel Dutzende herrenloser Schuhe herumstehen. Sie gehören den Gästen eben jener Teestube. Kaum hat man den langgezogenen Raum betreten, fühlt man sich in den Orient "gebeamt". Gedämpftes, mildes Licht, sinnliche Düfte verschiedenster Teesorten, eine Holzdecke auf handgeschnitzten Sandelholzsäulen, von denen keine der anderen gleicht, dunkelgrüne Seidentapeten, geschmückt mit Bildern tadschikisch-persischer Heldensagen.

Der Raum ist komplett mit schweren Teppichen ausgelegt. Wie in einer zentralasiatischen Jurte kauern die Gäste auf Teppichen und um niedrige Tische gruppierten weichen Sitzkissen am Boden. Wer’s mit dem Rücken hat, kann auch an normal hohen Tischen Platz nehmen. Das ganze Ambiente scheint einem Märchen aus "1001 Nacht" zu entstammen und zwingt die Besucher förmlich zum Entspannen und ruhig werden. Kein lautes Wort ist zu hören, wohliges Murmeln umrahmt die russische Teezeremonie, für die man Zeit und Muße aufwenden muss. Denn bis so ein Riesen-Samovar auf Betriebstemperatur kommt, dauert es eben. Doch kein Gast murrt, denn Herzrhythmus und Blutdruck sind längst auf slow-food heruntergefahren.

Zwischen 20 und 30 Teesorten, vorwiegend aus Russland, Indien und China, stehen zur Auswahl. Ich hatte mich für einen rauchigen Lomonossow entschieden. Zum Süßen bekam ich "Warenije", eine leicht säuerliche Konfitüre, und wurde belehrt, dass der wahre Kenner der russischen Teezeremonie einen Löffel der Konfitüre in den Mund nimmt und den Tee darüber laufen lässt. Pelmeni, das sind kleine Nudelteigtaschen mit Hackfleischfüllung an Sauerrahm, bildeten die "Unterlage". Nun bin ich zwar noch nie ein Teetrinker gewesen; seit meinem Besuch in der Teestube habe ich vor, das zu ändern.

Besonders stimmungsvoll sind die einmal wöchentlich stattfindenden Märchenstunden. Was die Kinderbuchautorin Ilse Korn im damaligen Haus der Kultur der Sowjetunion begründet hat, setzen heute Tochter und Enkelin am gleichen Ort fort: die Kunst des Märchen- und Geschichtenerzählens.

Durch die "Neue Wache" und ein Kastanienwäldchen vom touristischen Trubel abgeschirmt, lässt uns das morgenländische Idyll mit seinen divanartig aufgeschichteten Decken und Armrollen und den persischen Wandbildern erfühlen, was das chinesische Sprichwort sagt: "Tee trinken heißt den Lärm der Welt vergessen".

Markus Kauffmann, seit 25 Jahren Wiener in Berlin, macht sich Gedanken über Deutschland.