Die Grünen wollen die 6. Urlaubswoche und eine höhere Mindestsicherung.
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Wien. "Gerechtigkeit". Wenn die Wogen am Arbeitsmarkt nach der Alpine-Pleite geglättet sind, wird das Schlagwort wieder ins Zentrum der Wahlkampagnen für den Herbst rücken. Die SPÖ fordert Steuern für Millionäre. Ihr linker Flügel, die Gewerkschaft, will eine Erbschaftssteuer schon ab 150.000 Euro und eine sechste Urlaubswoche für alle nach 25 Jahren Arbeit; hier zieht die SPÖ nicht mehr mit. Die ÖVP lehnt "Milliardenkosten" für Wirtschaft und "Leistungsträger" generell ab und auch die FPÖ bremst bei neuen Steuern. Und die Aufsteiger dieses Jahres, die Grünen? Sie wollen an der Konkurrenz links vorbeiziehen.
"Wiener Zeitung": Sie fordern die sechste Woche für alle - sofort. Sind die Grünen Träumer?Karl Öllinger: Überhaupt nicht. Die sechste Urlaubswoche ist eine sehr realistische Sache. Vor etwa 20 Jahren gab es in Dänemark die Einführung per Volksabstimmung. Warum? Das Urlaubsrecht schreibt längere Urlaubsphasen vor. Die Praxis sieht anders aus. Viele nehmen zur Kinderbetreuung oder für wichtige Termine nur tageweise Urlaub. Die Erholung bleibt auf der Strecke. Durch die Überstunden haben wir europaweit so ziemlich die längsten realen Arbeitszeiten.
Das Gewerkschaftsmodell würde Betriebe 200 Millionen Euro kosten, sagt die Industriellenvereinigung - Ihres wohl Milliarden.
Das sind unseriöse Zahlen. Es gibt doch jetzt schon Ausweichreaktionen für mehr Urlaub, etwa den Pflegeurlaub für Angestellte; oder Arbeitszeitmodelle in Großbetrieben. Die sechste Woche wäre eine klare Regelung für alle.
Warum unterstützen die Grünen nicht das ÖGB-Modell einer sechsten Woche für alle nach 25 Jahren?
Weil es für den Hauptteil derer, die eine sechste Woche brauchen, nicht greift. Gerade junge Eltern bräuchten sie. Nach 25 Jahren sind die Kinder erwachsen.
Österreich liegt bei freien Tagen schon im Spitzenfeld. Wie sollen Betriebe konkurrenzfähig bleiben?
Unsere Konkurrenzfähigkeit stellen wir durch höhere Produktivität sicher. Wir müssen in Bildung, Innovation und Forschung investieren. Die dänische Wirtschaft hatte auch kein Problem.
Läuft die Mindestsicherung aus dem Ruder? In Wien stieg die Zahl der Bezieher in zehn Jahren von 40.000 auf 144.000.
Sie läuft nicht aus dem Ruder. Zahlen aus der Armutsforschung belegen: 500.000 Erwachsene und Kinder leben akut in Armut.
Wien ist um 244 Prozent ärmer?
Arme suchen die Anonymität der Städte. Und es gibt hausgemachte Armut. Niedrige Löhne führen dazu, dass die Arbeitslose so gering ist, dass sie durch Mindestsicherung aufgestockt wird. In Wien stocken 70.000 auf.
Aber auch hier die Frage - eine Vervierfachung?
Das war bei der Einführung der Mindestsicherung absehbar. Wir hatten im System der Sozialhilfe hohe Dunkelziffern, Ansprüche wurden nicht geltend gemacht.
Wie viele nutzen das System aus?
Es gibt Missbrauch. Aber die Missbrauchsquote liegt bei zwei bis drei Prozent. Im Steuerbetrug ist es ein Vielfaches.
Woher haben Sie das?
Ich beziehe mich auf Ländervergleiche, da scheint für uns ein minimaler Sozial-Missbrauch auf.
Genügt die Mindestsicherung?
Wir haben immer gefordert, dass die Mindestsicherung nicht zwölf Mal pro Jahr, sondern 14 Mal ausbezahlt wird.
Bei 800 Euro monatlich wären das rund 1000 Euro mehr pro Jahr.
Ungefähr.
Passen die Zugangsregeln?
Ich finde die Vermögensprüfung entbehrlich.
Es soll also auch Mindestsicherung für jene geben, die ein Wochenendhaus oder 200.000 Euro auf der Kante haben?
Ja. Es soll nur die Einkommensprüfung weiter geben. Das Geld auf der Seite erwischen Sie ohnedies nicht.
Warum nicht gleich ein bedingungsloses Grundeinkommen?
Im Kopf eine faszinierende Idee. Aber ich bin ein Gegner.
Wollen die Grünen Gewerkschaft und SPÖ links überholen?
Wir sind in gewissen sozial- oder steuerpolitischen Forderungen ernsthafter. Die SPÖ hat Vermögenssteuern abgeschafft und will sie jetzt wieder einführen. Wir waren immer dafür.
Sechste Urlaubswoche, Mindestsicherung, et cetera. Gibt es genug Vermögen im Land, um all das über neue Steuern zu finanzieren?
Ja, wir haben genug Vermögen.
Welche Vermögenssteuern fordern die Grünen genau?
Eine Erbschaftsteuer und Vermögenssteuer ab 500.000 Euro - pro Person. Bei zwei Personen im Haushalt geht sich da schon eine ordentliche Hütte aus.
Zur Person
Karl Öllinger
ist Sozialsprecher der Grünen und sitzt seit 1994 im Parlament. Er ist außerdem Gründer und Betreiber der Initiative "Stoppt die Rechten".