Kapitalismus-Kritiker Christian Felber im Streitgespräch mit Ökonom Clemens Wallner.
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"Wiener Zeitung": Das Vertrauen in die Marktwirtschaft ist durch die Finanzkrise erschüttert, die Suche nach Alternativen läuft auf Hochtouren. Die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie will Konkurrenz durch Kooperation ersetzen. Was spricht aus Sicht des Marktwirtschafters dagegen?
Clemens Wallner: Ich bin überzeugt, dass die Marktwirtschaft sehr viel besser funktioniert, als sie jetzt schlechtgeredet wird. Die zentrale Herausforderung ist doch, das Potenzial jedes einzelnen Menschen zur vollen Entfaltung zu bringen, um auf diese Weise allgemeinen Wohlstand zu schaffen. Die Geschichte der letzten Jahrzehnte zeigt, dass die Marktwirtschaft dazu am besten in der Lage ist, daran ändern auch einzelne Fehlentwicklungen nichts. Ehrlich gesagt sehe ich deshalb auch keinen Bedarf für neue Konzepte.
Christian Felber: Dazu zwei Anmerkungen: Erstens würde die Gemeinwohl-Ökonomie nicht zu weniger, sondern sogar zu mehr Marktwirtschaft führen. Wir haben etwa im Bankenbereich die freie Marktwirtschaft und Eigentümerverantwortung zulasten der Steuerzahler aufgegeben. Zweitens gibt es keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass das Konkurrenzprinzip hinsichtlich des Ziels der freien persönlichen Entfaltung besser funktioniert als Kooperation. Menschen werden, das ist wiederum belegt, durch Zusammenarbeit motivierter, freier und mutiger in ihren ökonomischen und kreativen Entscheidungen.
Wallner: Bei diesem letzten Punkt liegen wir nicht weit auseinander, schließlich ist jedes abgeschlossene Geschäft eine Kooperation zwischen Konsument und Unternehmer zu beiderseitigem Vorteil. Aus Kundensicht ist wiederum die Konkurrenz der Anbieter ein Vorteil für die anschließende Kooperation.
Felber: Die Idee einer Gemeinwohl-Bilanz würde für den Konsumenten den Vorteil bieten, dass dieser volle Transparenz über das Angebot des Unternehmers erhält, etwa in Bezug auf Nachhaltigkeit, Ertragsverteilung, soziale Kosten etc.
Wallner: Aus meiner Sicht sorgen bereits die Mechanismen der Marktwirtschaft dafür, dass dort, wo der Konsument Wert darauf legt, alle Informationen transparent dargelegt werden.
Felber: Künftig soll es hier eben einen gesetzlichen Zwang geben. Wenn bereits heute in dieser Hinsicht alles perfekt wäre, gäbe es auch keinen Bedarf für Einrichtungen wie die Konsumentenschutzorganisation.
Wallner: Solche Organisationen gibt es eben bereits, was ist also das Neue am Gemeinwohl-Konzept?
Felber: Die Vereinheitlichung aller Zusatzbilanzen in Bezug auf die Kosten für Ökologie, Soziales, oder Demokratie. Diese Bilanzlegung wäre rechtsverbindlich, würde also für alle Unternehmen gelten. Und jene Unternehmen, die für die Gesellschaft höheren Nutzen bringen, würden rechtliche Vorteile genießen, sodass sie trotz höherer Kosten erfolgreich im Markt bleiben können. Dass heute ethische Produkte teurer sind als un-ethische zeigt für mich ein radikales Marktversagen.
Welche Folgen hätte dies für das im Kern der Marktwirtschaft verankerte Streben der Unternehmen nach Gewinn?
Felber: Es würde eingeschränkt werden, Gewinn wäre, wie ja Geld überhaupt eigentlich sein sollte, nur noch Mittel zum Zweck, aber nicht mehr das Ziel des Wirtschaftens an sich.
Wallner: Ich unterstelle keinem Unternehmer, dass das Streben nach Gewinn sein Hauptinteresse ist. Unternehmer wollen mit ihren Produkten einen Mehrwert für die Gesellschaft schaffen.
Felber: D’accord, das Problem ist nur, dass jene Unternehmen, die die größten Gewinne machen, gemeinhin auch als die erfolgreichsten angesehen werden. Gewinnmaximierung wird heute systemisch belohnt, das gilt es einzuschränken.
Wallner: Ich kann mit der pauschalen Verurteilung von Gewinnen wenig anfangen. Kapital ist für Unternehmen eine knappe Ressource, daher ist es doch nur logisch, dass ich es dort investiere, wo die höchsten Renditen zu erwarten sind.
Felber: Das Problem ist, dass derzeit Investitionen in den Kapitalmarkt lukrativer sind als in die Realwirtschaft, das gilt es wieder umzukehren, deshalb sollte Spekulation verboten werden.
Wallner: Jeder spekuliert, jede unternehmerische Handlung ist Spekulation, der lateinische Begriff bedeutet nichts anderes als vorausblicken.
Felber: Mir geht es darum, ob ein Unternehmen seine Gewinne auf dem Finanzmarkt anlegt, um Gewinne zu erwirtschaften, oder nicht doch besser wieder in die Produktion investiert.
Wallner: Es spricht nichts dagegen, dass auch Unternehmen auf den Finanzmärkten investieren können sollen, schon allein aus Diversifizierungsgründen. Das muss in der Entscheidung jedes Unternehmers liegen.
Wie hätte man nach den Ideen der Gemeinwohl-Ökonomie mit der Bankenkrise umgehen sollen?
Felber: Die Einsatz für die Bankenrettung beläuft sich derzeit EU-weit auf 4,6 Billionen Euro, das sind genau 4,6 Billionen zu viel. Wir bräuchten dieses Geld dringender für Investitionen in Bildung und Universitäten, in den öffentlichen Verkehr, den Sozialstaat oder auch zur Tilgung von Staatsschulden. Die Bankenrettung war das Testament der Marktwirtschaft.
Wallner: In Österreich wurden beim Bankenpaket sicher keine Fehler gemacht, dieses Geld wird auch zurückgezahlt werden. Die Stabilisierung der Finanzmärkte war im Interesse jedes Bürgers. Und eines sollte man nicht vergessen: Das Gros der Staatsschulden haben wir aufgrund eines überbordenden Sozialstaats, dem keine Reformen gegenüberstehen.
Felber: Ja, die Banken mussten gerettet werden, allerdings wäre dies Aufgabe der Eigentümer gewesen, nicht des Staates.
Jede Wirtschaftsordnung muss sich daran messen lassen, Wohlstand für die größtmögliche Zahl zu schaffen. In der Marktwirtschaft gilt Geld als große Triebfeder und in der Gemeinwohl-Ökonomie?
Felber: Innovationen werden durch Kreativität geschaffen, und die Menschen sind dann kreativ, wenn sie frei, sozial abgesichert und frei von Ängsten sind. All diese Errungenschaften sind derzeit im Abnehmen begriffen.
Nirgendwo sonst ist das Niveau des Wohlfahrtsstaates höher als in Europa - und dennoch kamen sämtliche Wachstumsinnovationen der vergangenen Jahrzehnte wie etwa die digitale Revolution oder Bio-Engineering aus anderen Regionen.
Felber: Hier haben nicht marktwirtschaftliche Mechanismen, sondern staatlich subventionierte Wissenschaftseinrichtungen beziehungsweise das Militär den Löwenanteil der Innovationen geschaffen. Aber ich stelle grundsätzlich in Frage, dass solche Innovationen für Wachstum sorgen; entscheidend hierfür sind vielmehr wohlfahrtsstaatliche Innovationen, die für ein friedliches Zusammenleben und ökologische Nachhaltigkeit sorgen.
Wallner: Ich habe auch Zweifel, ob materieller Wohlstand wirklich im Mittelpunkt steht; es geht um die Möglichkeit, ein glückliches Leben zu führen. Dazu sind ein gutes Gesundheitssystem, öffentliche Verkehrswege etc. nur Rahmenbedingungen; allerdings sehr notwendige, um die Wunschvorstellung eines glücklichen Lebens zumindest annähernd verwirklichen zu können, als da sind Zusammenarbeit der Generationen, Umweltschutz, mehr Möglichkeiten zur Selbstentfaltung.
Felber: Was Sie Wunschvorstellung nennen, bezeichne ich als systemische Innovation. Tragisch ist nur, dass Innovationen, um die doch das Denken der Marktwirtschaft kreist, dann hysterisch abgelehnt und tabuisiert werden, wenn sie das System selbst betreffen.
Wallner: Ich gestehe: Ich kann das Innovative an der Gemeinwohl-Ökonomie nicht erkennen. Jeder Unternehmer zielt doch darauf ab, durch seine Produkte das Leben der Konsumenten zu verbessern. Ich will keinen Staat, der mir vorschreibt, wie ich glücklich werden soll.
Felber: Das will ich auch nicht. Mir geht es um Anreize für Unternehmen, die einen höheren Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Es geht um weniger Angst, weniger Stress und mehr Kooperation und Freude.
Zu den Personen
Clemens Wallner
Der Wirtschaftswissenschafter und promovierte Politikwissenschafter arbeitet als wirtschaftspolitischer Koordinator in der Österreichischen Industriellenvereinigung.
Christian Felber
Der gebürtige Salzburger
studierte romanische Philologie und Soziologie. Er ist Mitbegründer von Attac-Österreich, freier Publizist und Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien.