Zum Hauptinhalt springen

Den Parteien fehlt die Orientierung

Von WZ-Korrespondent Markus Kauffmann

Europaarchiv

Regierung holpert durch die Krise. | Sieben Wahlgänge stellen Schwarz-Gelb auf den Prüfstand. | Keine strahlenden Führungsfiguren. | Berlin. 2011 ist das Jahr der Halbzeitbilanz, nicht nur für das Kabinett Merkel II, sondern auch für die Opposition. Die deutschen Bürger werden in sieben Landtagswahlen zu entscheiden haben, wie diese aussieht. So unterschiedlich die Ausgangspositionen der einzelnen Parteien in den Bundesländern sein mögen, eines ist allen gemeinsam: eine heillose Orientierungslosigkeit. | Vor allem die CDU-Länder wackeln


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Das erste Jahr der christlich-liberalen Wunschkoalition war mehr ein Geholper als ein Raketenstart. Der Union ist es zunächst nicht gelungen, die Achse Berlin-München zu sichern. Die Liberalen konnten ihr Image als Klientelpartei nicht überwinden und wurden mehr als Bremser denn als Treiber des Regierungshandelns wahrgenommen.

Die Opposition war nicht viel besser dran. Weder SPD noch Grüne konnten ihre Flügel aus dem Schlamm vergangener Regierungsverantwortung erheben. So wurde zum Beispiel der Einsatz in Afghanistan unter Rot-Grün beschlossen; auch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ("Hartz IV") ist ein Erbe dieser Zeit. Spielraum für große alternative Entwürfe bleibt da nicht viel.

Keine der Bundestagsfraktionen verfügt derzeit über eine strahlende Führungsfigur. Angela Merkel (CDU) hat viel von ihrem anfänglichen Nimbus als "Madame Europe" eingebüßt - zu lang hat sie die Zügel im auseinanderstrebenden Regierungsgespann schleifen lassen. Zudem kamen ihr profilierte Führungspersönlichkeiten abhanden wie Friedrich Merz, Roland Koch, Ole von Beust und Horst Köhler. Immerhin stehen mit Ursula von der Leyen und Karl-Theodor zu Guttenberg noch zwei attraktive Figuren an ihrer Seite. Die FDP ist da weniger glücklich. Ihr Parteichef Guido Westerwelle kann sich nur halten, weil seine Partei im Moment keine Alternative hat.

Opposition schwächelt

Sigmar Gabriel (SPD) ist erst seit gut einem Jahr Parteivorsitzender, konnte aber die Schwächen der Regierung nicht in eigene Münze umsetzen. Der Versuch, die vom Duo Schröder/Müntefering eingeleitete liberale Linie zu korrigieren, wird als ein wenig glaubhaftes "Zurückrudern" bewertet. Eine erkennbar neue Konzeption steht nicht dahinter.

Der unerwartete Höhenflug der Grünen scheint indes nicht viel mehr als eine Sommerschwalbe zu sein. Auch hier sind keine neuen Ideen oder innovativen Konzepte aufgetaucht. Der Unmut über die Atompolitik und Stuttgart 21 scheint den Grünen vorübergehend Rückenwind verschafft zu haben. Ähnlich trübe sieht es bei der Linkspartei aus, seit mit Oskar Lafontaine, Gregor Gysi und Lothar Bisky drei profilierte Persönlichkeiten in der Versenkung verschwanden.

In Zahlen ausgedrückt: Die Union kommt derzeit auf 35 Prozent, die SPD stagniert bei 24, die Grünen sinken knapp unter die 20-Prozent-Marke, die Linke verharrt weiterhin auf 11 Prozent und die FDP landet bei einem Katastrophen-Tief von 3 Prozent.

Keine Zukunftskonzepte

Krisenzeiten zwingen sicherlich zu einem gewissen Pragmatismus. Die Erfolge in der Wirtschaft, im Export und auf dem Arbeitsmarkt werden zwar registriert, schlagen aber noch nicht wirklich zu Buche. Der Schock der Krise sitzt einfach noch zu tief.

Mehr denn je zuvor erwarten die Bürger begreifbare und plausible Zukunftsszenarien. Die Politik bietet sie aber nicht an. Die FDP hatte ihren Wahlerfolg einem solchen klaren Konzept zu verdanken. Doch was ist daraus geworden? Ihre mit der Tuba vorgetragenen Steuersenkungsversprechen wurden angesichts der Finanzkrise mit der Piccolo-Flöte zur "Steuervereinfachung" umgeblasen.

Ein klares Energiekonzept ist nicht sichtbar: Mit der Verlängerung der AKW-Laufzeiten hat sich das Duo Merkel-Westerwelle viel Ärger eingeheimst. Doch selbst wer ihrem Argument glaubt, dass man Atomstrom als Brückentechnik noch eine Zeit brauchen wird, will gern wissen, wie es danach weitergeht.

Die Grundsatz-Debatte über die repräsentative Demokratie und deren Grenzen - mit Stuttgart 21 bekam sie neue Nahrung - verläuft im Sande, weil Deutschland mit seinem Grundgesetz bisher recht gut gefahren ist.

Probleme bereiten - nicht anders als in Österreich - die wie immer benannten Rettungsschirme für die schlimmen Euro-Buben. Seit sich herausstellte, dass Griechenland eben doch kein Einzelfall war, trauern immer mehr Deutsche der stabilen D-Mark nach. Offen bleibt die Frage, wohin Europa steuert.

Afghanistan, Schulden, Zweifel an der Funktion der Parteien-Demokratie, Zukunft der Energieversorgung - keine der Parteien gibt derzeit die Antworten, die von den Deutschen verstanden oder gar akzeptiert werden.

Sicher sind Landtagswahlen keine Bundestagswahlen, doch bei der Ballung von Terminen im nächsten Jahr ergibt sich zwangsläufig ein Stimmungsbild. Zurzeit sieht dieses so aus: Deutschland in diesem Winter - kurze, rasch erlöschende Stichflammen des Volkszorns, Ödnis in der politischen Klasse, Stillschweigen der Intelligenzia und Einfallslosigkeit der Kreativen. Ob sieben Landtagswahlen diese geistige Langeweile ändern können?