Zum Hauptinhalt springen

Den Parteien gehen die Antworten aus

Von Andreas Kirschhofer

Analysen

Umfrage: Bei Jungen SPÖ und ÖVP auf Platz drei hinter FPÖ und Grünen. | Ursache: Großparteien bieten keine Orientierung mehr. | Wer kann künftig identitätsstiftende Antworten geben? | Das Wort von der Parteibuchwirtschaft verliert allmählich an innerer Logik. Wer hat denn noch so ein Büchlein, das einst neben der formalen Zugehörigkeit zu einer politischen Stammesbrüderschaft auch die Übereinstimmung mit einem festen Vorstellungsbild von Staat und Gesellschaft dokumentierte?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Auch bei den Altparteien ist das Mitgliedsbuch inzwischen zur Rarität geworden. Der ÖVP billigen Politologen nur noch rund 400.000 eingeschriebene Anhänger zu, den Sozialdemokraten so um die 300.000, also noch weniger. Vor einigen Jahrzehnten waren es bei Rot und Schwarz noch gut doppelt so viele. Aber nicht nur die eingeschriebenen Mitglieder der Traditionsparteien haben sich dezimiert, die Wählerschaften von ÖVP und SPÖ sind ganz allgemein geschrumpft.

Und sie sind, ebenso wie die klassischen Parteien selbst, in die Jahre gekommen. Eine aktuelle Imas-Umfrage zeigt mit aller Deutlichkeit, wie es heutzutage in den Altersgruppen politisch aussieht (siehe Grafik). Es ist unschwer zu erkennen, dass bei SPÖ und ÖVP die Altersschwerpunkte in der Seniorengeneration liegen, FPÖ, BZÖ und Grüne rekrutieren sich hingegen vor allem aus der jüngsten Wählerschicht. Auf der Regierungsbank und mithin an den Schalthebeln der Macht sitzen also die Vertreter der "Alten", die parlamentarische Opposition bilden die Repräsentanten der "Jungen".

An einem solchen Spannungsfeld von Erfahrung und politischer Reife auf der einen und vorwärtsdrängendem Elan auf der anderen Seite wäre grundsätzlich nichts auszusetzen, wenn sich daraus konstruktive politische Konzepte entwickeln würden. In der österreichischen Gegenwart ist allerdings weder von der einen Tugend, der Reife, noch von der anderen, dem Elan, etwas zu verspüren.

Was vor allem fehlt, sind die gerade jetzt so dringlichen Zielvorstellungen, zumal aus der weltweiten Wirtschaftskrise längst auch eine Sinnkrise der gesellschaftlichen Ordnung und des sozialen Miteinander geworden ist. Die Bevölkerung hat im Irrgarten der neuen Probleme ein fast sehnsüchtiges Verlangen nach klaren Orientierungen. Menschen können eben nicht glücklich sein, ohne Transparenz und ohne ein Gefühl des Wachsens und Entwickelns.

Regierung verstrickt sich in Details

Angesichts der augenblicklichen Machtverteilung richtet sich die Hoffnung auf brauchbare Antworten für die Zukunftsbewältigung vorerst natürlich auf die Regierungsparteien. Aber diese Hoffnung zerstiebt, denn das Denken von SPÖ und ÖVP erschöpft sich bei näherer Betrachtung in finanztechnischen Überlegungen wie dem Stopfen von Budgetlöchern. Elementare Zukunftsfragen wie Bildung und Forschung münden in Gezänk über die Stressbelastung der Lehrer oder in den absurden Gedanken, ob wir uns aus Ersparnisgründen vom Cern verabschieden und damit vom internationalen Mainstream der Wissenschaft abkoppeln sollen.

Die Beweise für politische Leerläufe sind erdrückend. Kein Zweifel: Der Koalition fehlt es an Ideen; die nicht nur historisch, sondern auch im demografischen Sinne alten Parteien sind gedanklich ausgedorrt. Es wäre aber verfehlt, die Schuld dafür hauptsächlich den Führungsetagen der Traditionsparteien zuzuweisen. Der eigentliche Grund für die Innovationsschwäche von SPÖ und ÖVP liegt vielmehr in ihrem parteiinternen Klima. Eine stark überalterte Mitgliederschaft setzt nämlich andere Prioritäten als die junge Generation und sie folgt anderen Verhaltensmustern. Diese sind augenblicklich gekennzeichnet von einem Übermaß an Sicherheitsüberlegungen und einer Unlust an Reformen. Das Motto lautet insgeheim, es solle alles besser werden, aber es möge sich nichts verändern. Das Denken dreht sich bei den Parteigängern von Rot und Schwarz letztlich weit eher um die Alterssicherung und die Stabilisierung eines status quo als um Reformen. Kühne Überlegungen bewirken bei Parteibuchbesitzern eher Abwehr als Zustimmung.

Ortsvereine als Altennachmittag

Diese Situation trifft freilich nicht nur auf Österreich, sondern ebenso sehr auf die deutsche Szene zu. Gabor Steingart ("Die Machtfrage", Piper Verlag) hat sie auf brillante Weise beschrieben und dabei einen SPD-Abgeordneten zitiert, der nach eigener Angabe jedesmal schockiert sei, wenn er einen Ortsverein seiner Partei besucht. Alles erinnere ihn da an einen Altennachmittag der Arbeiterwohlfahrt. Das Ganze sei nicht mehr der pulsierende Club, dem er einst beigetreten war. Kein normaler Mensch halte es dort aus.

An anderer Stelle diagnostiziert Steingart: "Heute wirkt die Parteilandschaft versteppt. Die SPD erträgt sich selbst kaum noch. Die Liberalen murmeln über ihren Vorsitzenden wie die Bewohner eines Altenheims über den Speiseplan. Die CDU mag ihre alten Redensarten von der Leistung, die sich lohnen soll, nicht mehr hören, ohne dass ihr neue Glaubenssätze eingefallen wären. Die grüne Basis spielt auf Parteitagen die Posen ihrer Jugend nach..."

Die Ähnlichkeit zu Österreich ist augenfällig.

Was die Repräsentanten der "alten" Parteien betrifft, so ist es verständlich, dass sie sich dem innerparteilichen Klima und dem Bedürfnis der Mitglieder nach slow motion bei Veränderungen nicht entziehen können, selbst wenn sie - rein theoretisch - eigene Einfälle hätten. Zu alledem ist zu bedenken, dass eine Koalition zweier ziemlich gleich starker Parteien permanente Kompromisse erzwingt und dadurch die Umsetzung neuer Konzepte fast unmöglich macht.

Ein echter Wettstreit um die besten Ideen, so sehr man ihn sich wünschen würde, kommt aber auch zwischen Regierung und Opposition nicht zustande. Die FPÖ ist ziemlich einseitig auf die Kritik an Missständen und politischem Versagen der Regierung (insbesondere in den Bereichen von law and order) fixiert; dem BZÖ geht es vor allem darum, sich von den Blauen abzugrenzen, ohne sich zu weit von ihnen zu entfernen; und die Grünen versuchen hinter ihrer zum Ritual erhobenen Vergangenheitsbewältigung und pseudodemokratischen Gesten zu verbergen, dass ihnen für die Zukunft nur der Klimaschutz einfällt.

Von Parteien kommen keine Impulse mehr

Fazit: Von den Parteien, ob alt oder jung, sind allenfalls ein paar gedankliche Partikel, keine richtungsweisenden Impulse zu erwarten. Auch deshalb nicht, weil sich die Gespräche in den Zentralen zumeist im (eigenen) Kreise drehen. Wer einen Blick hinter die Kulissen des Parteigeschehens wirft, erfährt mit Erstaunen, dass die Entscheidungsträger in Wirklichkeit nur wenig Kontakt mit der gesellschaftlichen Basis haben. Man redet zumeist untereinander in der Sphäre von eigenen Funktionären oder Anhängern und hört dabei immer wieder die gleichen Argumente und Überlegungen. Wie bei einer Schallplatte mit Evergreens, die man schon zum x-ten Male aufgelegt hat. Die Folge sind sozialoptische Täuschungen, die zu falschen Schlüssen führen.

Aber gibt es da als mögliches Korrektiv nicht noch die Befunde aus methodisch sauberen Umfragen, die den Entscheidern ein objektives Bild von den Nöten und Wünschen der Bevölkerung vermitteln könnten?

Es gibt sie. Gewiss. Aber sie sind in ihrer Existenz akut bedroht, sobald sie sich als unbequem erweisen und parteipolitische Fehler erkennbar machen. Die Verlockung, demoskopische Ärgernisse einfach hinter Schloß und Riegel zu setzen, ist manchmal übermächtig. Nur Politiker von außergewöhnlichem Format sind in der Lage, kognitive Dissonanzen zu ertragen und daraus politische Lehren zu ziehen.

Wo stecken die Ideen für morgen?

Zu guter Letzt: Wo stecken - nachdem die Parteien ihrer eigentlichen Rolle so wenig entsprechen - die zündenden Ideen für die Gesellschaft von morgen?

Bei den Standesvertretungen, den Kammern oder Gewerkschaften? Ihre Aufgabe besteht im Verteidigen von Rechten ihrer Mitglieder, ihr Tun und Trachten ist auf Paragrafen gerichtet, nicht auf gesellschaftspolitische Planung. Ihr Schlüsselwort lautet nein statt ja.

Bei den sogenannten Intellektuellen? Sie leiden an einem Übermaß an Emotionen und einem Manko an Sachkenntnis. Ihre zum Teil marxistische Gedankenwelt fügt sich nicht mehr zu den heutigen Problemstellungen; ihre Intellektualität ist im übrigen nicht viel mehr als eine etwas lächerliche Pose.

Bei den Politologen? Sie deuten mit Eifer und sprachlicher Bravour das Kikeriki der parteipolitischen Hahnenkämpfe. Der Rest ist eloquente Schweigsamkeit.

Bei den Journalisten? Ihr Metier ist das Fragen, nicht das Antworten. Trotzdem könnten die Medien damit viel bewegen, vieles zumindest thematisieren, was zu diskutieren wäre. Aber stellen sie auch die richtigen Fragen? Unterliegen sie nicht allzu oft der Schwäche, tabuisierten Themen auszuweichen oder politisch opportune Ansichten zu akzentuieren? Haben sie den Mut und die Kraft, sich zeitgeistigen Konventionen zu entziehen und sich unabhängig von vorgeformten Gruppenmeinungen eigene Urteile zu bilden?

Was bleibt, ist die Hoffnung. Und nagender Zweifel.

Zur Person

Andreas Kirschhofer-Bozenhardt ist Gründer des Linzer Markt- und Meinungsforschungsinstituts Imas und war von 1972 bis 1992 dessen Leiter.