Die Begeisterung über die Neuauflage von Rot-Schwarz hält sich in Grenzen. | Das muss aber nicht sein. | Pragmatismus ist, wenn man sich ins Unvermeidliche fügt und auch noch dem Unerfreulichen positive Seiten abzuringen vermag. So ungefähr lässt sich die derzeitige politische Stimmung im Land angesichts der heraufdräuenden großen Koalition zusammenfassen.
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Am Donnerstag pilgerten die Verhandlungsführer der Untergruppen ins Finanzministerium, wo sie von Werner Faymann und Josef Pröll samt deren Finanzverhandlern Christoph Matznetter und Wilhelm Molterer im Beichtstuhlverfahren auf Konsenslinie gebracht wurden. Mit einem Abschluss wird mittlerweile allgemein am Sonntag gerechnet.
Freudig begrüßt wird diese Koalition nur vom Boulevard, der mit einer Kosten-Nutzen-Rechnung ganz eigener Art kalkuliert. Das Gros der Kommentatoren fügt sich in die ungeliebte Variante, weil mögliche Alternativen - rote Minderheitsregierung oder Schwarz-Blau-Orange - noch unerfreulicher scheinen. Nur einer kleinen Minderheit der schreibenden Zunft ist alles andere als Rot-Schwarz lieber.
Dabei kann man - guten Willen vorausgesetzt - auch als Skeptiker einer Neuauflage der Koalition Positives abgewinnen. Den Befürwortern einer Regierung aus einem ideologischen Guss - also Mitte-Links oder Mitte-Rechts - sei entgegengehalten, dass diese Koalition die Chance hat, zumindest theoretisch, extreme Zielkonflikte zu vermeiden: Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und Behebung sozialer Schieflagen (was nicht gleichbedeutend mit mehr Sozialausgaben ist) müssen sich nicht widersprechen.
Dass man auf diese Art niemanden ganz, aber viele ein bisschen glücklicher machen kann, gehört zu den Vorteilen von Kompromissen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Koalition auch an dieses Motto hält, wenn es um unangenehme Entscheidungen geht.
Anders als FPÖ, BZÖ oder Grüne verfügen Rot und Schwarz auch über einen größeren Pool an qualifizierten Personen, auch wenn dies bekanntlich nicht vor Fehlgriffen schützt. Gerade in der aktuellen Krisensituation ist dies nicht zu unterschätzen. Dass Lösungen länger dauern, weil sich zwei annähernd gleichstarke Partner gegenübersitzen, stimmt, aber schließlich handelt nicht immer richtig, wer schnell handelt. Und hartnäckig ausverhandelte Lösungen sind meist nachhaltiger.
Spätestens seit dem Scheitern der amtierenden Regierung löst der Anspruch, nur große Koalitionen könnten große Probleme lösen, bei vielen nur noch mildes Lächeln aus. Schon wahr, von einem großen Wurf in Sachen Staats- und Verwaltungsreform sind wir weit entfernt, nur: Dieser Gordische Knoten lässt sich auch in anderer Konstellation nicht durchschlagen - zumal die Gräben quer durch alle Parteigrenzen hinweg verlaufen.
Die künftige Koalition verfügt übrigens noch über einen Vorteil gegenüber ihrer Vorgängerin: Dank den Verlusten bei der Wahl verfügen SPÖ und ÖVP nicht mehr über die verfassungsändernde Zweidrittel-Mehrheit im Nationalrat.
Damit sind überfallsartige und demokratiepolitisch bedenkliche Aktionen wie die Verankerung der Pflichtmitgliedschaft für Kammern in der Verfassung ohne breite Debatte nicht mehr möglich. Und auch die Verlängerung der Legislaturperiode und die Herabsetzung des Wahlalters würde heute wohl intensiver diskutiert werden.