Identifizieren von Lebewesen mittels "DNA-Barcoding". | UNO propagierte Jahr der Biodiversität. | Berlin. "Piep - Vollmilchschokolade, 0,99 Euro", "Piep - Paprika, rot, 3,79 Euro". Seit Strichcodes in den Supermärkten Einzug gehalten haben, können sich die Mitarbeiter an der Kasse einige Tipparbeit sparen. Einfach das schwarze Linienmuster auf der Ware über den Scanner ziehen, schon hat das Gerät den Artikel samt Preis erfasst.
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Einen ähnlich einfachen Identifizierungscode versuchen Biologen rund um die Welt auch für Lebewesen zu entwickeln. Die Idee hinter diesem "DNA-Barcoding" ist bestechend: Ein tragbares Gerät soll ein winziges Stück aus dem Erbgut eines Tieres oder einer Pflanze analysieren und dann in Sekundenschnelle anzeigen, um welche Art es sich handelt. Zollbeamte könnten so zum Beispiel leicht herausfinden, ob sie illegale Produkte aus bedrohten Arten vor sich haben. Polizisten könnten verräterische Pflanzenteile an Mordopfern bestimmen und daraus Rückschlüsse auf den Tatort ziehen. Und bei ökologischen Studien ließe sich im Rekordtempo die Tier- und Pflanzenwelt größerer Gebiete erfassen.
Bisher ist das Identifizieren von Lebewesen dagegen eine aufwendige Angelegenheit. Viele Arten unterscheiden sich äußerlich nur in winzigen Details, manche sogar nur in ihrem Erbgut. Da hat der Zöllner oder Polizist keine Chance, und die Ökologen verlieren bei ihren langwierigen Untersuchungen nur allzu oft das Rennen gegen die Zeit. "Im tropischen Regenwald zum Beispiel sterben die Arten schneller aus, als wir sie bestimmen können", sagt die Botanikerin Alexandra Muellner vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt am Main.
Für den Schutz der biologischen Vielfalt, den die Vereinten Nationen derzeit mit ihrem "Internationalen Jahr der Biodiversität" propagieren, ist das ein massives Problem. Wer die lebenden Schätze erhalten will, muss sie schließlich erst einmal kennen. Und genau daran hapert es. Etwa 1,7 Millionen Arten haben Wissenschafter bisher weltweit beschrieben. Doch etwa zehnmal so viele Tiere und Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen sollen Schätzungen zufolge noch unentdeckt sein. Einem Teil davon lässt sich vielleicht mithilfe des DNA-Strichcodes auf die Spur kommen.
Um diese Idee voranzutreiben, schlossen sich 2003 Forschungseinrichtungen aus aller Welt zur "Barcode of Life Initiative" zusammen. Ihre Mission ist die Suche nach Erbgut-Regionen, um Lebewesen schnell und einfach auseinander zu halten. Perfekt geeignet wäre eine kleine DNA-Sequenz aus 600 bis 700 Bausteinen, die möglichst bei allen Organismen vorkommt und sich von Art zu Art unterscheidet.
Ein interessanter Kandidat für Molekularbiologen fand sich in den sogenannten Mitochondrien, die für die Energieversorgung von Zellen zuständig sind. Im Erbgut dieser Mini-Kraftwerke gibt es eine kurze Sequenz mit Informationen für die Bildung des Enzyms Cytochrom-c-Oxidase I. Paul Hebert von der University of Guelph in Kanada und seine Kollegen haben dieses DNA-Stück bei 260 nordamerikanischen Brutvogelarten analysiert. Tatsächlich fanden sie bei jeder Art eine charakteristische Folge von Bausteinen. Auch bei Schmetterlingen, Spinnen und Fischen funktioniert dieser Erkennungscode gut.
"Pflanzenarten kann man damit allerdings nicht unterscheiden", sagt Alexandra Muellner. Das liegt daran, dass sich das Erbgut von pflanzlichen Mitochondrien zu langsam verändert, so dass sich die DNA-Sequenz zwischen den einzelnen Arten nicht genügend unterscheidet. Außerdem wechseln immer wieder Teile des Erbguts ihre Position, so dass sich die Abfolge der Bausteine nur schwer vergleichen lässt.
Botaniker setzen auf DNA der Chloroplasten
Die Botaniker unter den Strichcode-Entwicklern setzen deshalb eher auf die DNA der Chloroplasten, bei der beide Probleme weniger stark ausgeprägt sind. Zwei Abschnitte des Chloroplasten-Erbgutes haben die Wissenschaftler der "Barcode of Life Initiative" derzeit als vielversprechende Pflanzen-Strichcodes im Auge. Bis zum Jahr 2011 wollen sie bei verschiedenen Pflanzengruppen untersuchen, ob diese "matK" und "rbcL" genannten Regionen die Erwartungen erfüllen.
Alexandra Muellner zum Beispiel beschäftigt sich mit den weltweit mehr als 560 Arten von Mahagoni-Gewächsen. Schon jetzt ist sie sicher, dass sich die Mitglieder dieser Pflanzenfamilie nicht allein an den beiden Chloroplasten-Sequenzen unterscheiden lassen. Offenbar sind die Arten noch zu jung, so dass sich im Laufe ihrer Entwicklungsgeschichte noch nicht genügend Unterschiede im Erbgut ihrer körpereigenen Sonnenkraftwerke herausgebildet haben.
Viel bessere Ergebnisse haben die Frankfurter Forscher jedenfalls mit einem "ITS" genannten Abschnitt aus der DNA des Zellkerns erzielt, die sich im Laufe der Evolution schneller verändert. "Mithilfe dieser Sequenz haben wir sogar etliche neue Mahagoni-Arten gefunden", sagt die Biologin. Erbgut-Analysen zeigen zum Beispiel, dass sich hinter dem heute gültigen Artnamen Cedrela odorata mindestens drei verschiedene Arten verbergen.
So ganz sind die Frankfurter Botaniker mit ihrem Mahagoni-Strichcode allerdings noch nicht zufrieden. Eines Tages soll er so genau sein, dass er nicht nur die Art, sondern auch die Herkunftsregion eines Baumes bestimmen kann. Gerade bei Mahagoni-Gewächsen wäre das interessant.
Mögliche Waffe gegen Mahagoni-Schmuggler
Schließlich gehören zu dieser Familie einige der begehrtesten Tropenhölzer überhaupt. Jedes Jahr führen die Mahagoni-Exporteure in Zentral- und Südamerika, Asien und Afrika Holz im Wert von mehreren Millionen Euro aus. Da viele Bestände der wertvollen Bäume schon stark geplündert sind, gibt es für etliche Arten Handelsbeschränkungen. Dennoch versuchen Geschäftemacher mit Holz aus dunklen Quellen Geld zu verdienen. Denen könnte man in ein paar Jahren mithilfe des Strichcodes auf die Schliche kommen, hoffen die Biologen.
Ein Zöllner müsste dazu nur ein winziges Holzstückchen von einem Brett per Schnelltest untersuchen. Schon wüsste er, ob die Angaben zur Herkunft des Holzes stimmen oder ob ihm ein Importeur illegal gefällte Regenwald-Riesen als Plantagenholz unterzuschieben versucht. "Doch auch andere Betrügereien lassen sich mit funktionierenden Strichcodes aufklären", sagt Alexandra Muellner. So werden Händler oder Restaurantbesitzer immer wieder von ihren Lieferanten übers Ohr gehauen. Vor einiger Zeit hat ein Gemüsehändler zum Beispiel Rucola-Salat im Labor von Muellners Kollegen untersuchen lassen. Es handelte sich um Rapspflanzen.
Wissen
(kv) Die 2003 gegründete "Barcode of Life Initiative" treibt weltweit die Entwicklung von Strichcodes für Lebewesen voran. Ihre Aktivitäten werden vom "Consortium for the Barcode of Life" (CBOL) koordiniert. Dazu gehören mehr als 150 Museen, Zoos, Botanische Gärten, Universitäten und andere Forschungseinrichtungen.
Es gibt mehrere CBOLProjekte, die Barcodes für spezielle Gruppen von Organismen entwickeln sollen. Neben Vögeln, Fischen und Bäumen stehen zum Beispiel auch die als Krankheitsüberträger berüchtigten Moskitos auf dem Programm.
Informationen im Internet:
www.dnabarcodes.org/
www.barcoding.si.edu/