Interview mit Care-Mitarbeiterin Beatrix Bücher.
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Reiche Golfstaaten wollen der syrischen Bevölkerung eine Milliarde Dollar an Hilfsgeldern zukommen lassen. Das wurde am Mittwoch bei einer Konferenz in Kuwait beschlossen. Die "Wiener Zeitung" hat mit "Care" über die Situation der syrischen Flüchtlinge in Jordanien gesprochen.
"Wiener Zeitung": Mehr als 220.00 Syrer sind ins benachbarte Jordanien geflüchtet. Wie geht das Land mit diesem Zustrom um?Beatrix Bücher: Die Solidarität der Jordanier ist bemerkenswert. Trotz Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit sind die Grenzen offen - und das bei bis zu 3000 Syrern, die täglich ins Land kommen. Die Flüchtlinge haben sogar Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und Schulen. 60 Prozent der Eltern schicken ihre Kinder aber nicht in Letztere.
Warum nicht?
Viele wollen aufgrund der traumatischen Erfahrungen keine Trennung von den Kindern riskieren. Und in Einzelfällen müssen diese arbeiten gehen, um den Familienunterhalt mitzuverdienen.
Wie halten sich die Syrer in Jordanien finanziell über Wasser?
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist ihnen verwehrt; es bleibt also nur die Aussicht auf Hilfsarbeitersjob, etwa in der Bauwirtschaft. Mehr als zwei Euro pro Tag verdient man dabei jedoch nicht.
Warten die Flüchtlinge angesichts dieser Perspektiven im Lager auf Rückkehr oder ziehen sie trotzdem in die jordanischen Städte weiter?
Nur ein Fünftel der Flüchtlinge bleibt im Lager im nordjordanischen Zaatri, die restlichen 80 Prozent leben in den Städten, vor allem in Amman oder im nördlich gelegenen Irbid. Sie warten nicht auf den Sturz von Machthaber Assad, sondern suchen nach Arbeit.
Wo finden die Flüchtlinge Quartier, wenn sie in den Städten ankommen?
Manche haben Glück und kommen bei Verwandten unter. Die Meisten sind bei Gastfamilien oder in einfachsten Wohnungen untergebracht - desolate und überbelegte Unterkünfte ohne Heizung; und das bei Nachttemperaturen um sechs Grad.
In welcher Form unterstützt Care die Flüchtlinge?
Wir kümmern uns um 20.000 Personen in den Städten. Dort verteilen wir Decken, Matratzen sowie Winterkleidung und stellen auch Heizöfen zur Verfügung. Knapp 30 Prozent der Flüchtlingshaushalte in Amman besitzen keine wintertaugliche Kleidung, fast zwei Drittel sehr schlechte oder keine Decken und über 80 Prozent keine Heizgelegenheit. Daneben unterstützen wir die Flüchtlinge mit Bargeld: für Lebensmittel oder die Miete, welche angesichts des Zustands der Unterkünfte oft überteuert ist.
‚Gibt es auch immaterielle Hilfe?
Ja. Wir stellen den Zugang zu Informationen bereit, damit die Flüchtlinge Rechtshilfe, psychologische Betreuung und soziale Aktivitäten in Anspruch nehmen.
In Jordanien leben auch tausende irakische Flüchtlinge. Inwiefern ähnelt deren Situation jener der Flüchtlinge aus Syrien?
Beide Gruppen leben vornehmlich in den Städten. Auch wenn der Irakkrieg formell seit Jahren vorbei ist: Aufgrund der teils bürgerkriegsähnlichen Zustände sind noch immer 30.000 Personen in Jordanien. Sie sind Gestrandete, haben meist keinen legalen Status und keine Möglichkeit auf ein geregeltes Einkommen.
Das heißt, auf dem illegalen Arbeitsmarkt machen sich Syrer und Iraker nun Konkurrenz?
Ja, leider.
Spendenkonto Care Österreich: 1.236.000, BLZ 60.000.
Beatrix Bücher ist Projektreferentin Nothilfe bei der Hilfsorganisation Care Österreich und derzeit in Jordanien im Einsatz.