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Den Taktikern aufgelaufen

Von WZ-Korrespondent Andres Schneitter

Politik

Israels Oppositionschef Herzog spekulierte auf eine große Koalition und verlor: Die ultrarechte Regierung gewann an Gewicht.


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Tel Aviv. Es war ein polit-taktisches Manöver der Sonderklasse: Am Mittwochvormittag schien es noch, als würde Israels Premier Benjamin Netanjahu den Oppositionsführer und Arbeitsparteichef Isaak Herzog als Partner in eine große Koalition holen. Anlass dazu bot ein Aufruf des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zu Wochenbeginn an die "großen Parteien" in Israel, die verbliebenen Chancen auf einen Friedensprozess mit den Palästinensern zu nutzen. Konkret machte er sich stark für eine von Frankreich vorbereitete Friedenskonferenz, die noch heuer stattfinden soll.

Derart deutlich hatte sich der ägyptische Präsident in seiner zweijährigen Amtszeit noch nie in den Nahostkonflikt eingebracht. Und sein Wort hat Gewicht: Israel schätzt al-Sisi als zuverlässigen Partner gegen die radikalislamische Hamas im Gazastreifen und als Verbindungsmann zum saudi-arabischen Königshaus, zu dem Israel im Unterschied zu Ägypten keine offiziellen Beziehungen unterhält, jedoch gemeinsame Interessen teilt. Netanjahu kommentierte noch am Dienstagnachmittag al-Sisis Aufruf als "ermutigendes Zeichen" und gab seine Bereitschaft bekannt, "mit Ägypten und anderen arabischen Staaten den diplomatischen Prozess in dieser wichtigen Angelegenheit" voranzubringen. Einen ähnlichen Kommentar schickte Herzog hinterher, und Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas ließ verlauten, Ägyptens Unterstützung für den Friedensprozess sei "eine große Hilfe auf dem Weg zu einem palästinensischen Staat". Am Vormittag mutmaßten israelische Medien noch, Netanjahu und Herzog würden demnächst gemeinsam Kairo besuchen.

Wäre der Schulterschluss zustande gekommen, hätte sich Israels Politik spürbar verschoben: Die aus den Wahlen vom März 2015 hervorgegangene ultra-rechte Regierungskoalition hat sich zwar bisher als erstaunlich stabil erwiesen, ihre Mehrheit im Parlament betrug jedoch genau eine Stimme, was ihre Handlungsfähigkeit konstant unter Bedrohung stellte. Mit dem größten Oppositionsbündnis im Boot hätten sich Netanjahu Möglichkeiten geboten, die nationalistischen Maximalforderungen seines wichtigen Koalitionspartners, Naftali Bennets und seiner Siedlerpartei, auf Distanz zu halten.

Lieberman zurück im Spiel

Am Abend war davon nichts mehr übrig geblieben. Mitten in die Spekulationen um eine große Koalition meldete Avigdor Lieberman von der national-säkularen Partei "Unser Jüdisches Heim" ebenfalls sein Interesse an einem Beitritt zu Netanjahus Regierung an. Die beiden kennen sich, Lieberman war schon zweimal unter Netanjahu Außenminister, der aktuellen Koalition trat er jedoch als einziger Anführer einer Rechts-Partei nicht bei, weil einige zentrale Anliegen nicht erfüllt wurden. Dazu gehörte seine groteske Forderung, für verurteilte palästinensische Terroristen die Todesstrafe einzuführen, vor allem aber das Amt des Verteidigungsministers. Lieberman, ein erklärter Hardliner gegenüber den Palästinensern, befürwortete eine neuerliche Besetzung des Gazastreifens durch die israelische Armee.

An seiner Stelle stand Netanjahus Parteikollege Mosche Jaalon dem Verteidigungsministerium vor, aber das Verhältnis der beiden ehemaligen Vertrauten litt stark. In der Debatte um die Rolle und Moralität der Armee schirmte Jaalon vehement die Führung der Streitkräfte gegen jegliche politische Einflussnahme ab und betonte noch vor wenigen Tagen bei einem öffentlichen Auftritt, die Armeespitze müsse das Recht haben, in Sicherheitsfragen dem politischen Kurs der Regierung notfalls zu widersprechen. Damit verärgerte er nicht nur Netanjahu, sondern nahezu das gesamte politische Kabinett am rechten Rand.

Als sich Lieberman schließlich als möglicher Koalitionspartner ins Spiel brachte, bot sich die Gelegenheit eines Doppelschlags: Einerseits konnte man den unbequemen Jaalon loswerden, andererseits Herzogs Regierungsambitionen den Boden entziehen. Am Abend war es dann soweit: Jaalon war raus, Lieberman zurück in der Regierung, die ultra-rechte Koalition hatte an Stärke gewonnen. Ihre Sitzzahl im Parlament ist von 61 auf 67 gestiegen.

Herzog steht nun blamiert da

Großer Leidtragender der Rochade ist in erster Linie Herzog: Sein Kokettieren mit Netanjahu stieß bei fast der Hälfte seiner Abgeordneten auf heftigen Widerstand. Schwergewichte der Arbeitspartei wie seine Vorgängerin im Parteipräsidium, Shelly Yachimovich, oder die aufstrebende Jungpolitikerin Stav Shaffir, deren Stimme bei jungen liberalen Wählern einiges gilt, haben ihren Parteichef bereits in den sozialen Netzwerken scharf angegriffen und ihm eine Naivität vorgeworfen, die die Wähler vor den Kopf stoße und dem Ruf der Partei schade. Die Vorwürfe sind nicht aus der Luft gegriffen: "Alles außer Bibi" lautete noch einer der Slogans der Opposition im Wahlkampf 2015.

Herzog riskierte es dennoch, in der Hoffnung darauf, eine große Koalition möge im Verbund mit Ägypten der Palästinensischen Autonomiebehörde neue Verhandlungen, wenn nicht gar ein Abkommen abringen. Am Ende steht er blamiert und mit leeren Händen da. Anzunehmen ist, dass seiner politischen Karriere ein ähnliches Los droht wie dem Friedensprozess: die Erstarrung, wenn nicht gar das Ende.