Ramallah - Erst 16 Jahre alt war Issa Bdeir, als er in der Fußgängerzone der israelischen Stadt Rishon-le-Zion einen Sprengsatz zündete. Zwei Israelis riss er mit in den Tod. Das Entsetzen über die Kaltblütigkeit von Selbstmordattentaten wirft für den palästinensischen Anthropologen Sharif Kanaana die Frage nach den Ursachen auf. Alltagserfahrungen mit der israelischen Besatzung und nicht religiöser Fanatismus seien die Ursache für das Spiel der jugendlichen palästinensischen Selbstmordattentäter mit dem Tod, analysiert er.
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Arbeitslosigkeit und gänzlich fehlende Zukunftsperspektiven, die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und nicht selten Demütigungen wecken nach Ansicht Kanaanas mörderische Rachegefühle. "Der Selbstmord ist zu einem Teil der palästinensischen Kultur geworden". Die aktuelle Lage könne noch eine Vielzahl von Selbstmordattentätern hervorbringen. Die Palästinenser fühlen sich in einer aussichtslosen Situation. Dieses Gefühl werde durch die harte Linie der israelischen Regierung von Ariel Sharon noch verstärkt. Die Selbstmordattentäter wollten mit ihrem Tod "andere verteidigen und der Welt mitteilen, warum sie dieses Opfer gebracht haben", meint der Anthropologe. Eine "Indoktrinierung" der Bevölkerung findet aber laut Kanaana nicht statt. Die Ursache für den freiwilligen Tod liege in den Lebensbedingungen.
Den "typischen" Selbstmordattentäter gibt es nicht. "Der Prozess, der jemanden zu einem Selbstmörder werden lässt, bleibt ein Rätsel", sagt der israelische Psychologe Ariel Merari von der Universität Tel Aviv. Gemeinsam mit anderen Experten kam er zu einer Tagung in Jerusalem zusammen, um ein Täterprofil zu erstellen. "Wenn man gegen Selbstmordattentate kämpfen will, muss man deren Hintergründe kennen", sagt der Terrorismus-Experte Boas Ganor.
Gemeinsamkeiten ließen sich kaum erkennen. Eine israelische Studie über 34 Selbstmordattentäter zeigt einen Querschnitt durch die palästinensische Gesellschaft. Zwar seien die meisten Attentäter junge, unverheiratete Männer, sagt Merari. Doch allzu viele Ausnahmen ließen eine Verallgemeinerung nicht zu. Auch Frauen seien unter den Tätern gewesen, sowie Jugendliche, Menschen mit guter wie mit geringer Ausbildung sowie ein über 50-jähriger. Auffallende charakterliche Ähnlichkeiten hätten sich bei der Befragung von Familien und Freunden der Täter nicht herausgestellt.
Auch religiöser Fanatismus und islamischer Fundamentalismus eigneten sich durchaus nicht als Erklärung, sagt Merari. Schließlich verbiete der Islam den Selbstmord. Auch persönliche Rache reiche als Rechtfertigung nicht aus: Nur drei der untersuchten Attentäter hatten durch israelisches Verschulden Familienangehörige verloren. Selbstmordgefährdet im pathologischen Sinn sei keiner der untersuchten Täter gewesen. Laut Merari werden die Selbstmordattentäter für ihre Tat trainiert. Die "Trainer" nehmen die Täter kurz vor dem Attentat auf Video auf und lassen sie eine "Märtyrer"-Botschaft sprechen. Danach gebe es kein Zurück mehr...