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Den Ungarn platzt der Kragen

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik
Zehntausende Ungarn protestierten (hier auf der Elisabeth-Brücke) gegen die Steuer.
© reu/Laszlo Balogh

Die geplante Internetsteuer treibt die Menschen in Budapest auf die Straße.


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Budapest. "Orbán, hau ab", "Das war erst der Anfang" und "Wir lassen es nicht zu" - - das rief eine riesige Menge von Demonstranten am Dienstagabend auf der Budapester Elisabethbrücke und am "Kilometer Null", den ein Stein am Brückenkopf auf der Budaer Seite symbolisiert. "Null" Forint, so der Willen der Demonstranten, soll die von der Regierung geplante Internetsteuer betragen. Wie schon bei der ersten Protestdemo zwei Tage zuvor waren es offenbar mehr als 10.000 Menschen, die die geplante Abgabe auf die Straße trieb. Erneut verscheuchte die Menschenmenge auch das Kamerateam des regierungstreuen Privatsenders "Hir-TV".

Kurz zuvor hatten der Wirtschafts-Staatssekretär Andras Tallai und der Fraktionsvorsitzende der Regierungspartei Fidesz, Antal Rogán, versucht, die Protestler zu beruhigen: Die Einnahmen aus dieser Steuer sollten für die Ausweitung und Entwicklung der Internetverbindungen benutzt werden, erklärten sie. Es sei den Providern zudem gesetzlich verboten, die Kosten dafür auf die Benutzer abzuwälzen. Zugleich sollen Medienberichten zufolge ranghohe Fidesz-Politiker telefonisch versucht haben, dem im Urlaub weilenden Ministerpräsidenten Viktor Orbán die Internetsteuer auszureden. Ohne Erfolg.

Nach dem offiziellen Ende der Demonstration füllte sich der Vorplatz des Parlaments mit Protestierenden. "Kommt heraus", skandierten sie, "Wir sind die Zweidrittelmehrheit", "Viktator" und immer wieder auch "Europa!"

"Viktator!"

Ist Ungarns oppositionelle Zivilgesellschaft aufgewacht? Offenbar hat die Internetsteuer das Fass zum Überlaufen gebracht. Die jüngsten willkürlichen Attacken des Orbán-Regimes gegen aus dem Ausland finanzierte Organisationen haben keine Proteststürme ausgelöst, ebenso wenig wie Orbáns berüchtigter Plan eines "illiberalen Staats". Diesen hatte er diesen Sommer in einer Rede in Rumänien angekündigt. Er lobte dabei Russland, China und die Türkei, die "vielleicht keine Demokratien" seien, dafür aber wirtschaftlich erfolgreich. Es war eine Absage an den wirtschaftlichen, politischen und geistigen Liberalismus.

Internet ist die letzte Bastion

Von 2010 bis 2014 hat Orbán eine nach eigenen Interessen gestaltete kitschige, nationalistische Verfassung durchgesetzt, die Pressefreiheit und unabhängige Kontrollinstanzen eingeschränkt. Jetzt, mit erneuertem Mandat und weit weg von drohenden Wahlen, verschärft Orban seinen Feldzug gegen das Prinzip einer freien Gesellschaft. Das Internet ist einer der wenigen verbliebenen Freiräume, in denen sich Regimekritik in Ungarn noch einigermaßen artikuliert.

Aus Brüssel kamen zu Orbáns Umtrieben stets widersprüchliche Signale. Das hierbei eher machtlose EU-Parlament sparte nicht mit Kritik. Hingegen hielt sich die EU-Kommission zurück. Der Grund: Die dort dominierenden Christdemokraten betrachten Orbáns Partei Fidesz als schützenswertes Mitglied ihrer politischen "Familie". Zwar gibt es etwa in der deutschen CDU einigen Unmut über Orban, doch der bleibt weitgehend hinter den Kulissen verborgen. Anders die USA. Aus der US-Botschaft in Budapest und zuletzt auch von Barack Obama gab es deutliche Warnungen. Jüngst verhängten die USA für sechs Ungarn, die mit der Regierung zusammenarbeiten, Einreiseverbote wegen Korruptionsverdachts. Offiziell sind die Namen der Betroffenen nicht bekannt. Medienberichten zufolge soll die Chefin der ungarischen Steuerbehörde NAV, Ildiko Vida darunter sein. Vida dementierte diese Berichte nicht und reiste in offensichtlich gereizter Stimmung erst einmal in den Urlaub.

Den Plänen zufolge soll die Internet-Steuer 150 Forint (0,49 Euro) pro Gigabyte Datenverkehr betragen. Nach der ersten Protestdemonstration versprach Wirtschaftsminister Mihály Varga, dass die Steuer pro Nutzer und Monat 700 Forint (2,28 Euro) nicht übersteigen solle, für Unternehmen solle sie höchstens 5000 Forint betragen.

Wirtschaftsfachleute befürchten, dass diese Steuer die gesamte Wirtschaft schädigen könne. Dies betonte am Dienstag auch die EU-Kommission. Am Dienstag ließ die EU-Digitalkommissarin Neelie Kroes mitteilen, der Steuerplan sei eine "schlechte Idee" und eine "nicht hinnehmbare" weitere "beunruhigende Maßnahme" der Orbán-Regierung. Zudem sei die digitale Sparte schutzbedürftig, weil sie derzeit "wahrscheinlich der Hauptantriebsfaktor ist, der Europa vor einer Rezession bewahrt".