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Den Unkenrufen zum Trotz: Reifezeugnis für Polens Demokratie

Von Martyna Czarnowska

Europaarchiv

So oft wie in den vergangenen zwei Jahren wurde das Ende der Republik noch selten beschworen. Als die Brüder Lech und Jaroslaw Kaczynski ihre Ämter als Polens Staatspräsident und Premier antraten, wollten sie einen neuen Staat ausrufen, die "Hinterlassenschaft des Postkommunismus" nach 1989 wegfegen. Und mit dieser vermeintlich neuen - in Polen wäre es die Vierte - Republik will nun Donald Tusk aufräumen, der Wahlsieger der vorgezogenen Parlamentswahl.


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Doch die Schwarz-Weiß-Malerei beider Seiten greift zu kurz. Dass viele Polen ihr Land nicht als den totalitären Staat empfinden, den Kaczynskis PiS (Recht und Gerechtigkeit) in den Augen der Regierungskritiker schaffen wollte, beweisen die rund fünf Millionen Stimmen, die die Partei des Premiers erhalten hat - und der Stimmenzuwachs.

Auf der anderen Seite hat Tusks Bürgerplattform (PO) nicht nur Bürger angezogen, die Kaczynski abwählen wollten. Sie hat auch klare Versprechen abgegeben: Dass es den Menschen in Polen morgen besser gehen wird.

Dass die polnische Demokratie gesünder ist, als zahlreiche Unkenrufe im In- und Ausland vermuten hätten lassen können, zeigte sich bei der Wahl am Sonntag mehrfach - wenn auch teils auf skurrile Weise. So gingen in manchen Wahllokalen die Stimmzettel aus, weil unverhofft viele Polen den Weg zur Urne gefunden hatten. Es war nur etwas mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten (rund 55 Prozent), aber immerhin 13 Prozent mehr als bei der Wahl vor zwei Jahren.

Zwar wurde, wie jedes Mal nach 1989, die Regierung abgewählt. Doch erstmals bleiben die zwei stärksten Fraktionen weiterhin die größten. In ihren Wertvorstellungen unterscheiden sie sich auch nicht stark voneinander: Sowohl PO als auch PiS sind rechtskonservative Parteien. Die Bürgerplattform hat lediglich ein wirtschaftsliberaleres Programm. Von einer radikalen Wende nach der Wahl kann also kaum die Rede sein.

Schließlich zeigte das Votum ebenfalls, dass mit populistischen Anti-EU-Slogans und Hetze gegen Abtreibung oder Homosexuelle in Polen kein Staat mehr zu machen ist. Die ehemaligen PiS-Koalitionspartner, Samoobrona (Selbstverteidigung) und die rechtsnationale Liga der Polnischen Familien, schafften den Einzug in den Sejm nicht mehr.

Ein Novum ist auch, dass künftig lediglich vier Parteien im Parlament vertreten sein werden. Offen bleibt noch, ob das mehr Stabilität in die polnische Parteienlandschaft bringen wird, die bisher von zahllosen Abspaltungen, Zusammenschlüssen, Neugründungen und häufigen Übertritten gekennzeichnet war.

Auch das wäre ein Zeichen dafür, dass Polen auf seinem Weg zu einer gefestigten Demokratie weiter fortgeschritten ist als vielfach angenommen.