Zwei Medizinerinnen beleuchten, welche maßgebliche Rolle das Gehirn bei der Gewichtskontrolle spielt.
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Wien.Wer greift nicht manchmal in ausgelaugtem Zustand zur Schokolade? Ein Stück, ein zweites Stück - und man spürt, wie der Körper wieder Kraft entwickelt. Auch, um uns zu trösten, wählen wir häufig den fast schon automatisierten Griff nach Süßem oder Fettem. Unmittelbar nach dem Genuss umschleicht uns ein angenehmes Gefühl der Glückseligkeit. Erst danach folgt häufig das schlechte Gewissen. Vor allem dann, wenn die Waage ein paar Kilo oder auch mehr zuviel anzeigt.
Dass wir in Stresssituationen fast reflexartig zu Genussmitteln greifen, liegt allerdings in der Natur des Menschen, wie uns die Neurochirurgin und Psychiaterin Iris Zachenhofer und die Neurochirurgin Marion Reddy in ihrem soeben im Verlag edition a erschienenen Buch "Kopfsache schlank" klarmachen. Damit wir uns wohlfühlen, fordert unser Gehirn einen Dopaminschub ein - einen Schuss Glückshormone, die der Körper auf besonders schnellem Weg eben durch Süßes und Fettes bilden kann.
Stress macht Mondgesicht
Dafür ist es nötig, zu wissen, was in einem gestressten Körper hormonell eigentlich alles abläuft: Unter Stress - etwa am Arbeitsplatz, in der Familie, durch finanzielle oder auch gesundheitliche Turbulenzen - bilden wir das Hormon Cortisol. Der Auslöser dafür sitzt in der Großhirnrinde, die in den beispielhaft genannten Situationen Signale an den Hypothalamus - ein wichtiges Steuerzentrum im Gehirn für Kreislauf, Körpertemperatur, Sexualverhalten, Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme - sendet. Dort beginnt eine komplexe chemische Reaktion, die schließlich mit der Bildung von Cortisol in der Nebennierenrinde endet. "In der Steinzeit, für deren Anforderungen unser Körper nach wie vor programmiert ist, hatte das Cortisol die Aufgabe, in Stresssituationen, wie etwa der Mammutjagd, einen Energieschub zu gewährleisten", schreiben die beiden Autorinnen. Ist dieser Hormonwert, etwa unter Dauerstress, längerfristig erhöht, kann es zu Muskelabbau und allgemeiner Schwäche kommen.
Da Cortisol auch eine verstärkte Wasserbindung im Körper auslöst, steigen der Blutdruck und das Gewicht. Nicht verbrauchte Fettsäuren werden vorwiegend in den Fettzellen um den Bauch und im Gesicht eingelagert. "Dauerhaft zu viel Stress macht uns also zu Michelin-Männchen mit Mondgesichtern", heißt es im Buch.
Körpereigene Abwehr
Doch der Organismus hat, wie in vielen anderen Bereichen auch, eine körpereigene Abwehrmöglichkeit gegen überschießendes Cortisol parat - nämlich das Glückshormon Dopamin und das Kuschelhormon Oxytocin, die er über das Gehirn einfordert. Doch ist es nicht nur die Schokolade, die uns Dopamin produzieren lässt, sondern etwa auch ein schönes Musikstück, eine beeindruckende Landschaft oder ein entspannendes Bad. Viele Situationen im Alltag sind quasi Kraftquellen - allerdings nur, wenn wir sie auch wahrnehmen.
Das Hormon Oxytocin wiederum entsteht nicht nur beim Kuscheln, wie man meinen könnte, sondern auch, wenn uns die Kollegen im Büro besonders freundlich und gut gelaunt begegnen. Jeglicher angenehmer zwischenmenschlicher Kontakt dient also aktiv der Stressvermeidung, aber auch der Gewichtskontrolle.
Um effektiv abnehmen zu können, oder aber auch nur das Gewicht halten zu können, sei es nämlich nötig, die Hormonspiegel in gesunder Balance zu halten. Das klingt zwar recht einfach. Doch hindert uns an einer Umsetzung oftmals der fast einprogrammierte Automatismus, der uns zur Schokolade, zum Energydrink oder zum Chipspackerl greifen lässt.
Dieser Automatismus ist wiederum im Gehirn in unseren Basalganglien gespeichert, wie Iris Zachenhofer im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Regulation der Motorik. Lernt ein Kind ein neues Musikstück auf dem Klavier, dann wird es dieses erst dann einwandfrei spielen können, wenn die Fingerabläufe in den Basalganglien gespeichert sind, nennt Zachenhofer ein Beispiel. Diese Funktion im Gehirn könne demnach auch dazu genutzt werden, für den Abnehmprozess nützliche Verhaltensmuster - wie neue Essgewohnheiten oder das Integrieren von Sport in den Alltag - einzuspeichern. "Abnehmen ist wie Klavierspielen", heißt es deshalb auch im Buch.
Lernprozess mit Fehlern
"Man muss dabei aber auch akzeptieren, dass es sich um einen Lernprozess handelt", betont Zachenhofer. Und jeder Lernprozess wird bekanntlich von Fehlern begleitet. So wie beim Klavierspielen der Finger manchmal auf der falschen Taste landet, kann es beim Abnehmen passieren, dass einen der nächtliche Gang zum Kühlschrank überkommt. Fehler zuzulassen sei auf jeden Fall stressfreier, als unter Druck einem bestimmten Diätplan folgen, betont die Medizinerin.
Sie empfiehlt, in kleinen Schritten zu beginnen und Teilziele schriftlich festzuhalten - allerdings nur solche, die man an jedem Tag der Woche schafft - auch, wenn einem die Arbeit über den Kopf wächst. Vielleicht kommt man auf diese Art und Weise weniger schnell zum Erfolg, aber mit Genuss und Freude, und natürlich beständiger.