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Denksport für jedermann

Von Jeannette Villachica

Reflexionen
Kreuzworträtsel können einsam gelöst werden, aber auch gemeinsam.
© Foto: Flynn Larsen/cultura/Corbis

Vor genau 100 Jahren, am 21. Dezember 1913, erfreute die "New York World" ihre Leserschaft erstmals mit einem Kreuzworträtsel. Die Popularität dieses Zeitvertreibs ist auch im digitalen Zeitalter ungebrochen.


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Beim Kreuzworträtsel scheiden sich die Geister. Für die einen ist es ein altmodischer Zeitvertreib für fantasielose Eigenbrötler; andere können gar nicht genug von der Knobelei bekommen, bei der "zu ratende Wörter buchstabenweise in ein System von senkrecht und waagerecht sich kreuzenden Reihen von quadratischen Kästchen eingetragen werden müssen" (Duden). Und wer dachte, dass diese schlichte Form der Unterhaltung - auf Papier geboren und groß geworden - im digitalen Zeitalter aussterben würde, muss erleben, dass genau das Gegenteil geschieht: Das Kreuzworträtsel passt sich - wie alle verwandten Rätselformen - thematisch und technisch den neuen Zeiten an.

Am 21. Dezember 1913 war nicht absehbar, dass die Suche nach dem passenden Wort bald weltweit Menschen aller Bildungs- und Gesellschaftsschichten fesseln würde. An diesem Tag erschien das erste Kreuzworträtsel in der Weihnachtsbeilage der Zeitung "New York World". Der junge Journalist Arthur Wynne hatte von seinem Chef den Auftrag erhalten, sich etwas Unterhaltsames für die Weihnachtsbeilage einfallen zu lassen. Wynne erinnerte sich an eine Spielerei, die er von seinem Großvater kannte: das Magische Quadrat, bei dem waagrecht und senkrecht Begriffe in Felder eingetragen werden. Er dachte sich 31 Suchbegriffe aus und bastelte daraus ein rautenförmiges Wortpuzzle. Das Kreuzworträtsel war geboren.

"Crosswordmania"

Soweit der Gründungsmythos. Vom jungen Journalisten Wynne ist darüber hinaus wenig bekannt. Und ob er tatsächlich das Kreuzworträtsel erfand oder ob seines nur das erste war, das große Beachtung fand, bleibt offen. Unter anderem wird die Erfindung auch Lewis Carroll, dem Autor von "Alice im Wunderland", und Victor Orville, der um die Jahrhundertwende in einem Kapstadter Gefängnis Gitterrätsel entwarf, zugeschrieben.

Wie dem auch sei - Wynnes Rätsel löste eine Welle der Begeisterung aus. In der Londoner "Times" war die Rede von einem "versklavten Amerika": "Ganz Amerika hat sich dem Kreuzworträtsel unterworfen. Es hat sich inzwischen zu einer Gefahr für die Arbeitskosten quer durch alle sozialen Schichten ausgewachsen. Fünf Millionen Stunden gehen dem amerikanischen Volk täglich dabei verloren - meist wertvolle Stunden Arbeitszeit - für eine sinnlose, läppische Sache."

Die Meldung sollte die Ausbreitung der "Crosswordmania" in Großbritannien verhindern - vergeblich. Auf der Insel erschien das erste Kreuzworträtsel 1922 in "Pearson’s Magazine"; die "Times" folgte dem Trend ab 1930.

1925 druckte die "Berliner Illustrirte" als erste deutsche Zeitung ein Kreuzworträtsel. Einige der damaligen Fragen kommen heute immer noch in Kreuzworträtseln vor: Drama von Ibsen, Teil des Auges, Stimmlage, Nebenfluss der Isar, Geliebte Jupiters. Auch im deutschsprachigen Raum war die Begeisterung groß: Bald wurden in Zügen und an anderen Orten, wo stundenlang gerätselt wurde, Nachschlagewerke ausgelegt, die so begehrt waren, dass sie festgebunden werden mussten. Es gab Mini-Lexika zum Mitnehmen, Agenturen, die sich auf den Verkauf der Lösungen spezialisierten, Wettbewerbe und Preise wurden ins Leben gerufen.

Dass diese Rätselform ausgerechnet zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstand und so erfolgreich wurde, ist kein Zufall. Günstigere Produktionsbedingungen und die Alphabetisierung auch einfacher Arbeiter sorgten dafür, dass Zeitungen und Zeitschriften Massenware wurden. Heute findet man Kreuzworträtselfans auf allen Erdteilen, in allen Gesellschaftsschichten und in allen Medien, in denen geschrieben werden kann, also auch im Internet. Neben den geschätzten 400 Rätselzeitschriften im deutschsprachigen Raum und den vielen Kreuzworträtseln in Tageszeitungen und Zeitschriften gibt es zahlreiche E-Magazine, Rätselcommunities, Online-Wettbewerbe und Apps fürs tägliche Rätsel. Und mit der entsprechenden Software kann sich jeder ein Kreuzworträtsel erstellen, das nach Länge der Wörter, Themen etc. auf die eigenen Wünsche zugeschnitten ist.

Inzwischen haben sich viele unterschiedliche Rätselformen entwickelt, unter anderen das Kreuzgitter, Silbenrätsel, Wortsuchrätsel, und das Sudoku hat das Kreuzworträtsel an Beliebtheit wohl überholt. Aber nur beim Kreuzworträtsel kann man sein Wissen testen. Wissenschafter vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock haben sogar nachgewiesen, dass Menschen, die Kreuzworträtsel lösen, länger leben, weil sie geistig beweglich bleiben.

Rate-Exzesse

Manche Rätsel-Fans übertreiben es mit der Hartnäckigkeit: Der "Stern" berichtete von einem 36-jährigen Physiker, der sich derart in ein Rätsel verbiss, dass er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert werden musste. Und wenn ein fehlerhaftes Kreuzworträtsel in einem Printmedium erscheint, haben Redaktionsassistentinnen, Empfangsdamen und sogar Nachtwächter Mühe, Anrufer und Leserbriefschreiber zu beruhigen.

Bei den gängigsten Kreuzworträtseln, manchmal auch als Deutsche Kreuzworträtsel bezeichnet, verweist eine Zahl im Rätsel auf die zugehörige Frage, die in einer nummerierten Liste zu finden ist. Die Nummer im Rätsel steht normalerweise im ersten Buchstabenkästchen des gesuchten Wortes. Je nach Design des Rätsels kann es dann erforderlich sein, dass die Fragenliste nach "waagrecht" und "senkrecht" einzutragenden Wörtern aufgeteilt ist. Bei diesem Typ des Kreuzworträtsels sind nicht unbedingt Blindkästchen notwendig; die Trennung der Wörter im Rätsel kann auch durch Trennstriche erfolgen, die den Kästchenrahmen an den Wortenden deutlich verstärken.

Beim "Schwedenrätsel" steht die Frage selbst in einem Blindkästchen, das mit einem Pfeil in die Richtung des gesuchten Worts versehen ist. Durch den geringen für die Frage zur Verfügung stehenden Platz sind Schwedenrätsel oft durch besonders kurze Fragen gekennzeichnet, die einem weitgehend standardisierten Repertoire von gesuchten Begriffen entsprechen. Im "Kreuzworträtsel ohne Blindfelder" (und ohne Trennstriche) sind die Fragen zeilen- und spaltenweise angegeben, wobei die Anzahl der Blindfelder für die jeweilige Zeile oder Spalte in Klammern angegeben ist. Neben den Lösungswörtern mit der richtigen Buchstabenzahl muss auch die Lage der Blindfelder herausgefunden werden. Dieser Rätseltyp wird im deutschen Sprachraum häufig als "amerikanisches Kreuzworträtsel" bezeichnet. Auch in den USA sind jedoch die oben beschriebenen einfachen Kreuzworträtsel Standard.

Klassische Fragen im Kreuzworträtsel zielen auf einfaches Wissen aus Geographie, Geschichte oder Politik. Wörter oder Namen mit besonders häufigen Buchstaben in ungewöhnlicher Kombination oder besonders kurze Wörter kommen in Rätseln viel häufiger vor als im Alltag; man spricht hier von "Rätselwissen". Anspruchsvolle Medien lassen für ihre Leser Rätsel erstellen, die eine breitere und tiefer gehende Allgemeinbildung und geistige Flexibilität erfordern, etwa die Wochenzeitung "Die Zeit" mit "Um die Ecke gedacht". Insgesamt gibt es heute mehr als 30 Kreuzworträtselvarianten, darunter auch thematisch spezialisierte Rätsel beziehungsweise Rätsel für eine bestimmte Zielgruppe: Wortschatz-Rätsel zum Thema Deutsch als Fremdsprache, Rätsel für Senioren oder Kinder, Lern- und Wissensrätsel, die unter anderem in der Schule eingesetzt werden, regionale Rätsel und viele andere.

Für den Entwurf von Kreuzworträtseln gilt grundsätzlich, dass kein Teil vollständig von einem anderen Teil abgeschnitten sein darf. Außerdem müssen alle waagrechten und senkrechten Buchstabengruppen einen Sinn ergeben. Im englischen Sprachraum wird großer Wert auf Rotationssymmetrie der Blindfelder gelegt, im Deutschen ist dies nicht in diesem Maße der Fall. Und längst werden Kreuzworträtsel nicht mehr nur per Hand, sondern aus Kostengründen immer häufiger von Software erstellt. Aus Qualitätsgründen setzen einige Rätselhersteller jedoch Software nur ein, um Füllwörter automatisch zu generieren.

Meisterschaften

Der Rätselautor Johannes Susen veranstaltet mit dem Verein "Logic Masters" (www.logic-masters.de) seit einigen Jahren einmal im Jahr die Deutschen Kreuzworträtsel-Meisterschaften. Der Verein hat auch fünf Mitglieder aus Österreich, in Österreich selbst gibt es laut Susen keinen Rätselverein; internationale Kreuzworträtsel-Wettbewerbe gebe es auch keine. Den Einsatz von Computern bei der Rätsel-Erstellung sieht Susen grundsätzlich positiv, da Computer ganz andere Möglichkeiten eröffnen würden. Seit ein paar Jahren werden für einige Online-Kreuzworträtsel zudem ungewöhnliche Spielfunktionen wie "schummeln", "Infos einholen" angeboten.

Peer-Gunnar Timm ist einer der größten professionellen Kreuzworträtselproduzenten im deutschsprachigen Raum. In dritter Generation versorgt er vom norddeutschen Lübeck aus deutschsprachige Tageszeitungs-, Magazin- und Rätselheftredaktionen mit neuen Rätseln. Timms Großvater hat das klassische Schwedenrätsel auch hierzulande bekannt gemacht. Der Deutschen Welle erzählte der Enkel kürzlich: "Hochkonzentriert, eingerahmt von Bücherbergen und rauchend saß mein Großvater
früher stundenlang an seinem Schreibtisch, um Rätsel zu entwerfen". Ein Handwerk, das auch der Enkel beherrscht, aber nur noch ausübt, wenn persönliche Glückwunschrätsel bei ihm bestellt
werden - was nicht allzu häufig vorkommt.

Eine Herausforderung für Kreuzworträtselproduzenten besteht darin, ihre Wortdateien aktuell zu halten. Sprache verändert sich, durch Anglizismen, Rechtschreibreformen und die Zeitläufte. Und die Zusammenhänge ändern sich. 1925 fragte die "Berliner Illustrirte" zum Beispiel nach "Deutschlands drückender Verpflichtung", die Antwort lautete "Reparationen". Darauf wären die meisten Rätselfreunde heute wohl nicht mehr gekommen.

Jeannette Villachica, geboren 1970, lebt als Journalistin in Hamburg und schreibt Kultur- und Reisereporagen und Sachbücher.