Die bisher gut funktionierende Finanzierungsbasis des Sozialsystems wird zunehmend durch die wirtschaftlichen Veränderungen ausgehöhlt.
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"Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann ist es nötig, dass alles sich verändert", schrieb Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem Roman "Der Leopard". Was das mit der Finanzierung unseres Sozialsystems zu tun hat? Viel.
Österreichs Sozialsystem ist unbestritten eines der besten der Welt. Es schützt uns alle davor, dass kurzfristige Schicksalsschläge zu längerfristigen Existenzkrisen führen. Solidarisch werden Risiken wie Arbeitslosigkeit oder Krankheit abgesichert. Ein Leben in Würde auch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozess garantiert unser staatliches Pensionssystem. All das geschieht treffsicher und effizient. Wer das bezweifelt, dem rate ich, sich zu Vergleichszwecken das amerikanische Gesundheitssystem oder auch das deutsche Pensionssystem näher anzusehen. Nicht zufällig liegt Österreich bei der Kinder- und Altersarmut deutlich unter dem EU-Schnitt.
Dieses hervorragende System wurde und wird über Abgaben auf die Löhne der Menschen, die in Österreich arbeiten, finanziert. Das war bisher eine gute Finanzierungsbasis, eine Basis, die allerdings durch die wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahr ausgehöhlt wurde und weiter werden wird. Das hat mehrere Gründe. Erstens: Seit den 70er Jahren sinkt der Anteil der Löhne am Gesamteinkommen, während der Anteil der Einkommen aus Gewinn und Kapital gestiegen ist. Das erhöht nicht nur die Ungleichheit, sondern reduziert auch die Beiträge zum Sozialsystem.
Zweitens: Der gegenwärtig stattfindende Digitalisierungsschub (Stichwort Industrie 4.0) führt zu Produktivitätsgewinnen, lässt aber viele Arbeitsplätze verschwinden.
Und drittens: Durch Steuerflucht gehen den Staaten Europas jährlich rund 1000 Milliarden an Einnahmen verloren - Geld, das für Soziales, Gesundheit und Bildung fehlt.
Das führt dazu, dass die Finanzierung unseres Sozialsystems mehr und mehr auf jenen Branchen lastet, in denen viele Menschen beschäftigt sind. Es wird also nicht nur die Finanzierungsbasis schmäler, sondern es sind auch personalintensive Branchen im Nachteil gegenüber personalschwachen Branchen.
Grundsätzlich gibt es nun zwei Möglichkeiten, mit diesem Problem der erodierenden Finanzierungsbasis umzugehen: den Weg der Konservativen, also Sozialleistungen zu kürzen (= weniger Pension, höhere Selbstbehalte im Gesundheitssystem, weniger Arbeitslosengeld, etc.), oder den Weg, den wir Sozialdemokraten gehen wollen, nämlich darüber zu diskutieren, wie die Finanzierung des Sozialsystems auf neue Beine gestellt werden kann. Indem man etwa durch einen "Beschäftigungsbonus", wie er von Bundeskanzler Christian Kern zur Diskussion gestellt wurde, auch Gewinne zur Finanzierung des Sozialsystems heranzieht und im Gegenzug personalintensive Branchen entlastet. Wer sich dieser Diskussion verweigert, präferiert automatisch den Weg des Sozialabbaues. Wer hier Denkverbote verhängen möchte, gefährdet unser funktionierendes Sozialsystem.