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Balkan-Experte Vedran Dzihic über das Wahlkampf-Getöse in Kroatien und die Flüchtlingsfrage als politischen Faktor.
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Kroatien ist wie Österreich und Slowenien massiv von der Flüchtlingskrise betroffen. Es stellt sich die Frage, inwieweit das Thema eine Rolle im Wahlkampf gespielt hat und wer am Sonntag die Nase vorn haben wird - das oppositionelle Bündnis unter Führung der nationalistischen HDZ oder die regierende Koalition mit den Sozialisten an der Spitze. Die "Wiener Zeitung" hat mit dem Balkan-Experten Vedran Dzihic gesprochen.
"Wiener Zeitung":Hilft die Flüchtlingskrise den oppositionellen nationalistischen Kräften oder ist die Situation in Kroatien mit Österreich gar nicht vergleichbar?Vedran Dzihic: Im Vorfeld der Wahlen hat sich der Diskurs zugespitzt, aus meiner Sicht findet jetzt ein Wettbewerb der Härte statt. Die regierenden Sozialdemokraten und die Opposition versuchen, einander in punkto Unnachgiebigkeit zu überbieten. Ziel ist es, damit in einem großen Wähler-Pool zu fischen. Es geht um die Unentschiedenen, von denen es viele gibt. Es geht aber auch darum, die Nationalbewussten zu gewinnen. Die Sozialdemokraten brauchen laut Umfragen noch Wähler, um an der Macht zu bleiben. Es ging im Wahlkampf um den Versuch, einander rechts zu überholen. Es wird mit schweren Geschützen geschossen. Es geht aber auch darum, harte Töne gegenüber Serbien anzuschlagen. Das haben wir vor zwei Wochen beobachten können: rhetorische Eskalation, Schließung der Grenzen . . .
Serbien wirft Zagreb einen Rückfall in die faschistische Ära vor . . .
Genau. Da ist einiges an Porzellan zerschlagen worden. Einiges an diesen mühsam aufgebauten regionalen Beziehungen ist zerstört worden. Da heißt es dann in Zagreb plötzlich, man muss das Militär einsetzen, stärker kontrollieren und wenn es notwendig ist, brauchen wir einen Zaun. Und mit diesem Zaun würden wir uns auch ein wenig des Balkans entledigen. So weit geht der kroatische Premier Zoran Milanovic natürlich nicht, aber er versucht mitzuziehen.
Ist das Flüchtlings-Thema eigentlich das bestimmende Thema oder ist es nur eines von vielen?
Es ist in letzter Zeit schon ein zentrales Thema geworden. Die Gesellschaft ist sehr polarisiert. Es sind zwei Lager, die einander unversöhnlich gegenüberstehen. Wichtige Anliegen sind natürlich sozio-ökonomische Fragen, vor allem Arbeitslosigkeit. Die Kroaten fragen sich, ob es einen neuen Aufschwung geben wird. Das zweite große Thema ist der Umgang mit der Vergangenheit. Wie positioniert man sich hier - national oder doch liberal, als EU-Mitglied? Die Frage, die sich stellt, ist, wie man mit dem Erbe des Regimes Franjo Tudjman umgeht. Was ist das richtige Kroatien? Die dritte Reibungslinie ist die Flüchtlingsfrage. In den Medien ist sie das alles bestimmende Thema. Und rund um dieses Thema kann man noch viele Stimmen verlieren - oder gewinnen.
Spielt das Thema Korruption eine Rolle?
Ja, da war die Affäre um Ivo Sanader, da wirft die eine Seite der andern vor, dass sie korrupt sei . . .
. . .da bleibt keiner dem anderen etwas schuldig.
Ja. Aber ich glaube, dass der EU-Beitritt hier schon positive Effekte gehabt hat. Auf alle Fälle ist das derzeit nicht das "Hammer"-Thema, mit dem man viele Stimmen gewinnen kann.
Lange Zeit hat es ausgesehen, als hätte das Bündnis um die nationalistische HDZ die Wahl schon in der Tasche. Jetzt gibt es doch wieder ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Warum haben die Sozialdemokraten aufholen können?
Wir können eine verschärfte Rhetorik von Premier Milanovic beobachten. Er ist rhetorisch sehr gut. Wenn er auf Konfrontationskurs geht, spitzt er Dinge zu und das hat starke Wirkung. Dann gab es Maßnahmen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich, die die Regierung sehr spät gesetzt hat, um Stimmen zu bekommen. Und dann wirkt diese Polarisierung. Man betont immer wieder, wie schlimm es wäre, wenn die andere Seite an die Macht käme.
Die Maßnahmen der Regierung wirken oft populistisch. Da ist die Sache mit den Franken-Krediten. Die Regierung versucht, die kroatischen Kreditnehmer, die viel verloren haben, schadlos zu halten und wälzt alles auf die Banken ab.
Ja, das zieht bei den Wählern. Das sind alles Schritte, die spät gesetzt wurden. Und das ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Opposition. Die sagt: Ihr habt vier Jahre nichts getan und jetzt seid ihr groß da. Da hat Milanovic gemerkt, der Hut brennt und hat gegengesteuert.
Wird das aus Sicht der Regierung reichen?
Das weiß man nicht. Man hat in der Türkei gesehen, dass die Meinungsumfragen sehr trügerisch sein können. Ich würde einmal vorsichtig abwarten. Es ist ein Duell in einem polarisierten Land, die Lager stehen einander unversöhnlich gegenüber. Da Frage ist, wer mehr der Unentschiedenen in der letzten Sekunde auf seine Seite ziehen kann. Bei vielen ist es eine Impulsentscheidung. Die Frage ist auch, wie viele Stimmen die übrigen Oppositionsparteien im rechten oder linken Lager bekommen.
Gibt es eigentlich eine maßgebliche politische Kraft in Kroatien, die in der Flüchtlings-Frage eine menschliche Lösung will?
Das gibt es stark in der Zivilgesellschaft, auch in einigen Medien. Die Volkspartei unter Außenministerin Vesna Pusic versucht, an die Rationalität zu appellieren, auch die Grünen tun das. Sie sagen, dass man europäische Solidarität braucht. Das ist ein Minderheiten-Programm. Und wenn alle auf das Schlagzeug hauen, hört man die Geigen nicht.
Zur Person
Vedran Dzihic
ist Senior Researcher am Österreichischen Institut für Internationale Politik (OIIP) und unterrichtet an der Uni Wien.