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"Denn ein Computer hat kein Herz"

Von Brigitte Pechar

Politik

Ex-Innenminister über seine Erfolge und Niederlagen. | Die Drohung Gusenbauers an ÖVP kam zu spät. | Der Parteitag könnte eine neue Situation schaffen. | "Wiener Zeitung":Sie feiern kommenden Mittwoch Ihren 75. Geburtstag. Worauf blicken Sie in Ihrer langen politischen Karriere gerne zurück, worauf weniger?


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Karl Blecha: Das ergibt sich automatisch. Man blickt immer gerne auf Erfolge zurück. Der größte Erfolg im politischen Leben war, teilgenommen zu haben an der größten Aufbruchsstimmung in Österreich Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre. Mitgestalter gewesen zu sein an der Ära Kreisky, die mit einer Reformphase den Österreichischen Weg begründet hat. Es war eine faszinierende, überwältigende Zeit, die dieses Land moderner, sozialer, liberaler, toleranter gemacht hat.

Beruflich habe ich immer die Auffassung vertreten, dass jemand, der in die Politik gehen will, vorher unternehmerische Erfahrungen sammeln soll. So wurde ich Geschäftsführer der Echo-Werbung, die damals dem ÖGB gehörte. Nach einem Studienaufenthalt in Köln habe ich das Institut für Empirische Sozialforschung (Ifes) gegründet, das in der europäischen Sozialforschung einen hohen Stellenwert hatte. Wir haben damals die Wählerstromanalyse erfunden. Das war ein Highlight meiner beruflichen Laufbahn.

Kommen wir zu den weniger erfreulichen Ereignissen in Ihrer Zeit als Innenminister.

Die liegen auf der Hand. Das sind die Affären Lucona und Noricum, in die ich hineingezogen wurde. Ich habe aufgrund der politischen Diskussion per Weisung die Causa Lucona zur Staatsanwaltschaft gebracht. Und Noricum war schließlich der Auslöser für meinen Rücktritt. Dass die Voest die Kanonen nicht nach Libyen - mit Ausnahme der ersten Lieferung - sondern an den Iran geliefert hat, haben wir alle (Kanzler Fred Sinowatz, Außenminister Leopold Gratz, Anm.) erst beim Prozess erfahren. Das war ein glatter Gesetzesbruch und daher zu ahnden, aber nicht an der Politik. Wir wurden daher von den Vorwürfen des Amtsmissbrauchs und der Neutralitätsgefährdung auch freigesprochen.

Sie gelten als Motor des Parteiprogramms von 1978. Damals kam es auch zur Annäherung mit der katholischen Kirche?

Ich wurde im Dezember 1975 Zentralsekretär der SPÖ und habe die "Offene Partei" propagiert, die Kontakte zu den Menschen, die ein Stück des Weges mitgehen wollten und zu den Bürgerinitiativen forciert. Die katholische Kirche wurde in den Dialog eingebunden. Das war Kreisky sehr wichtig. Zu Hilfe bei einer Annäherung zwischen Christentum und Sozialismus kam uns das Zweite Vatikanum.

Das neue Programm unterschied sich von allen anderen durch eine sehr klare Bürokratiekritik. Kreisky hat gesagt, man muss alle Bereiche mit den Ideen der Demokratie durchfluten - das heißt Demokratisierung an den Hochschulen, den Schulen, in den Medien, Auflösung bürokratischer Strukturen. Im Zentrum stand, die Ausweitung von Gerechtigkeit in der Gesellschaft - erst so erweitert man die Freiheit des Einzelnen. Denn eine Freiheit, die nicht zur Kenntnis nimmt, dass alle Menschen die gleiche Würde haben, führt zu einer Ellbogengesellschaft, an deren Ende der Freiheitsentzug für viele steht.

Und das zweite Wesentliche an diesem Programm ist, dass es erstmals festschreibt, dass nicht der Mensch Eigentümer der Natur, sondern deren Verwalter ist. Damit war das ökologische Prinzip erstmals festgeschrieben worden.

Gibt es heute innerhalb der SPÖ Bestrebungen zu einem neuen Aufbruch?

Nach den Niederlagen in Graz und in Niederösterreich wird die Forderung nach einer grundsatzorientierten Politik immer lauter.

Ja, aber wird dem auch entsprochen?

Jetzt gibt es eine neue Diskussion. Und da war es wieder einmal der Wiener Bürgermeister Michael Häupl, der den Anstoß gegeben hat. Er hat geraten, der Parteivorsitzende solle in Bezirkskonferenzen gehen und sich dort nicht nur der Kritik stellen, sondern auch einer grundsätzlichen Diskussion. Wo stehen wir heute, wo wollen wir hin? Und Gusenbauer tut das - das ist ein richtiger Ansatz.

Das wird ausreichen?

Ob es ausreicht, werden wir sehen. Aber jetzt muss man einmal die Menschen mobilisieren. Das ist auch eine gewisse Garantie, dass diese Phase des Zusammenarbeitens mit der ÖVP konkret wird. Die Blockade der ÖVP ist gebrochen, das Njet-Sagen der ÖVP ist beendet. Und jetzt muss man hervorstreichen, was die Sozialdemokratie will.

War Gusenbauers Drohung mit dem Ende der Koalition richtig?

Das ist viel zu spät gekommen. Hätte man schon früher ähnliche Schärfe an den Tag gelegt, wäre der Stillstand wahrscheinlich früher überwunden worden.

Zu den konkreten Inhalten. Der Pensionsreform wurden gleich zu Beginn der Koalition die Giftzähne gezogen, die Hacklerregelung wurde bis 2013 verlängert. Reicht das dem Pensionistenchef?

Nein, überhaupt nicht. Wir bekämpfen gemeinsam mit den ÖVP-Senioren, dass im Abtausch mit der Verlängerung der Hacklerregelung im Pensionssystem eine Automatik eingeführt werden soll - sodass der Computer feststellt, ob Pensionen erhöht oder gekürzt, ob das Regelpensionsalter erhöht, ob Beiträge erhöht werden. Der Computer hat kein Herz. Die Experten können Grundlagen liefern, aber was die Alten einer Gesellschaft wert sind, ist immer noch eine politische Entscheidung. Eine Automatisierung werden wir heftigst bekämpfen.

Die Pflegebedürftigen in diesem Land werden immer mehr, von den Familien selbst wird immer weniger Pflege geleistet werden können. Was wäre eine Lösung?

Die Finanzierung der Pflege macht mir große Sorge. Da haben wir zu wenig Vorsorge getroffen und ein viel zu hohes individuelles Risiko. Eine Pflegeversicherung muss kommen. Die darf aber nicht durch Lohn- und Gehaltsabgaben finanziert werden.

Im Herbst steht ein SPÖ-Parteitag an. Rechnen Sie mit einem Gegenkandidaten zu Gusenbauer?

Nicht, wenn er zwei Dinge befolgt. Erstens: Er muss aufnahmebereit sein für die Vorschläge, die bei den Bezirkskonferenzen kommen. Und zweitens muss der Kompromiss tatsächlich von Erfolgen für die SPÖ gekrönt werden. Wenn es die nicht gibt, wird der Parteitag eine neue Situation schaffen.

Zur Person

Karl Blecha wurde am 16. April 1933 in Wien geboren. Nach der Matura studierte er Psychologie, Ethnologie und Soziologie. Er gründete 1963 das Ifes und 1989 das Mitropa-Institut. Die politische Laufbahn begann er schon in seiner Jugend, 1970-1983 war

er Nationalratsabgeordneter, 1975-1981 Zentralsekretär der SPÖ, 1983 bis 1989 Innenminister. 1999 wurde Blecha Präsident des Pensionistenverbandes und ist als solcher seit 2000 wieder Mitglied des Parteipräsidiums.