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Athen - In Griechenland ist in den vergangenen drei Wochen ein neugriechischer Mythos, der der "Unantastbarkeit" der linksextremistischen Terrororganisation "17. November", gestorben. Zwölf der "Phantome" sind in Haft, unter ihnen ein Chefideologe und ein Killer.
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Den griechischen Sicherheitskräften ist es nach 27 Jahren erfolgloser Fahndung gelungen, zwei Waffenlager der "Phantom-Organisation" auszuheben und zwölf mutmaßliche Mitglieder, darunter auch einen der mutmaßlichen Drahtzieher und "Chefideologen" der Untergrundorganisation, festzunehmen. Gestern kam noch ein mutmaßlicher Killer hinzu.
Die Gruppe "17. November", die sich nach dem Datum der blutigen Niederschlagung des Athener Studentenaufstandes gegen die Militärdiktatur im November 1973 nennt, hat in mehr als einem Vierteljahrhundert 23 Menschen ermordet, darunter Diplomaten, Unternehmer, Verleger und Politiker, und Dutzende von Bombenanschlägen verübt. Prominente Anschlagsopfer waren der konservative Parlamentsabgeordnete Pavlos Bakoyannis, Schwiegersohn des ehemaligen Ministerpräsidenten Konstantin Mitsotakis, der CIA-Vertreter in Athen, Richard Welch, und Diplomaten aus Großbritannien und der Türkei. Der "17. November" steht auf der Terrorliste des US-Außenministeriums. Einige Kommentatoren in den USA äußerten sich skeptisch über die Fähigkeit Griechenlands, die Sicherheit der Olympischen Spiele 2004 zu garantieren.
Menschen wie du und ich
Aus den Geständnissen der bisher Festgenommenen ergibt sich, dass die Terrororganisation nach der anfänglichen "ideologischen Phase" in den 70-er und bis Anfang der 80-er Jahre zunehmend zu einer mafiösen Bande wurde. Heute sind die Griechen schockiert. "Wir sind aus allen Wolken gefallen", wiederholen immer wieder Verwandte, Freunde und Nachbarn der mutmaßlichen Terroristen im Fernsehen und im Radio. "Sie waren Menschen wie du und ich." Unter den mutmaßlichen Terroristen sind ein Ikonenmaler, ein Musikinstrumentenbauer, ein Elektriker, ein Rentner und ein Volksschullehrer. Viele mutmaßlichen Terroristen sind miteinander verwandt. Der mutmaßliche Drahtzieher ist ein 58-Jähriger, der sich als "Professor" und "Mathematiker" ausgab, aber allem Anschein nach sein ganzes Leben lang nie gearbeitet hat und seine Zeit in den Cafes von Athen oder in seiner Villa auf einer kleinen Dodekanes-Insel verbrachte.
"Jetzt können wir uns ohne die Last des '17. November' auf die Vorbereitungen für die Austragung der Olympischen Spiele konzentrieren", schrieb die griechische Presse am Mittwoch. Offen bleiben allerdings noch etliche Fragen. Warum konnten die griechischen Behörden 27 Jahre lang diese Terrororganisation nicht zerschlagen? Gab es auch Mitläufer im Staatsapparat? Wie konnten die Terroristen an Informationen darüber gelangen, wo die Diplomaten wohnten und welches ihr Tagesprogramm war, lauten die Fragen, auf die bis jetzt niemand eine Antwort geben konnte.
Die sozialistische Regierung von Ministerpräsident Costas Simitis verspricht, "alles ans Tageslicht" zu bringen, unter anderem auch, weil sie damit auf politische Gewinne hofft. Das Ende des Mythos des "17. November" kam Simitis gerade zur richtigen Zeit. In allen Umfragen nämlich lag seine Partei bisher in der Gunst der Wähler bis zu zwölf Prozentpunkte hinter der oppositionellen bürgerlichen Nea Dimokratia. "Wir werden alles ans Tageslicht bringen und die Verantwortlichen in einem fairen Prozess zur Rechenschaft ziehen", versprach Simitis in einer Fernsehansprache nach dem Erfolg der Sicherheitskräfte.